Jedes Buch ein Unikat mit den Autogrammen. © Imago
Einträgliches Geschäft: Uli Hoeneß mit seinem WM-Buch. Es verkaufte sich 300.000 Mal. © Imago
Mode statt Fußball: Uwe Seeler warb 1974 für seine Hemden. © Imago
Des Königs spezielle Kleider: Johan Cruyff schuf sein eigenes Trikot. Und er nahm weitere Sonderrechte für sich in Anspruch. © Imago
Malente. Die wenigsten Deutschen waren je in diesem Ort in Schleswig-Holstein – aber wer sich für Fußball interessiert, hat davon eine Vorstellung.
Malente und seine Sportschule – sie müssen wie ein Gefängnis gewesen sein für die deutschen Nationalspieler vor und während der WM 1974. Langeweile als Landschaft. Die Abgeschiedenheit als Schutzkonzept, weil man zwei Jahre nach dem Olympia-Attentat von München und in der Zeit des präsenten RAF-Terrors um die Sicherheit der Mannschafft fürchtete, die den Staat repräsentierte. Es gab Geschichten von Stars, die ausbüxten, um in Hamburg ihre Frauen zu treffen.
Ersatzkader aus B-Nationalspielern
Vor allem aber wurde Malente zum Schauplatz einer für den deutschen Fußball dramatischen Situation. Die Mannschaft, die als Europameister 1972 für die schönste Form des Spiels stand und im eigenen Land und nach dem erstmaligen Landesmeister-Europapokal-Triumph des FC Bayern München erklärter WM-Favorit war, drohte zu zerbrechen. Beim Deutschen Fußball-Bund wurde schon eine Liste erstellt mit 22 Spielern, die man holen könnte, wenn die eigentlichen 22 nominierten abreisen. Die Mannschaft wäre dann nicht von Münchnern und Mönchengladbachern getragen worden, sondern von soliden Bundesliga-Spielern kleinerer Vereine. Die WM-Kandidaten hießen auf einmal Dieter Brei, Wolfgang Frank, Hannes Bongartz, Reiner Geye, Karl-Heinz Handschuh, Charly Körbel, Harald Konopka, Willi Reimann, Winnie Schäfer, Rudi Seliger, Ronald Worm, Klaus Wunder. Sie hätten keine Chance gehabt, Weltmeister zu werden.
Am 4. Juni, zehn Tage vor dem Eröffnungsspiel gegen Chile, begannen die Verhandlungen um die Prämien. Der DFB befand, 30000 Mark für den Titel, 25000 für Platz zwei, 20000, falls die Mannschaft Dritter werde, seien okay. Diese Summer waren auch vier Jahre zuvor in Mexiko ausgelobt worden, und keiner hatte sich beschwert. Doch zu den deutschen Spielern drang die Kunde von sagenhaften Prämien bei Italienern und Niederländern und sogar in kleineren und exotischen Fußball-Nationen durch. Und musste es nicht so sein, dass der DFB als Gastgeber der WM einen satten Gewinn einstreichen würde? Die 22 Spieler wollten daran beteiligt werden. Sie forderten 75000 D-Mark. Für die Mannschaft verhandelte ihr Kapitän Franz Beckenbauer, in der zweiten Runde kamen Günter Netzer, Wolfgang Overath und Horst-Dieter Höttges dazu. Der DFB bewegte sich hoch auf 50000 Mark, Bundestrainer Helmut Schön, der von seinen Spielern enttäuscht war und sich schon ein Taxi bestellt hatte, plädierte für 60000. „Jeder Einzelne“, so appellierte er an die Spieler, „verdient in seinem Verein doch genug, um auf 10000 Mark verzichten zu können“. Paul Breitner schalt er einen „Rädelsführer“ und „Maoisten“. DFB-Präsident Hermann Neuberger schaltete sich telefonisch zu, er ging auf 70000, die Abstimmung im Spielerkreis endete darüber 11:11. Vier Tage vor dem ersten Spiel verpuffte der Aufstand: Man kam zusammen bei der Formel 15000 Mark Startprämie, 60000 im Fall des WM-Gewinns. Und Adidas schoss später noch 10000 Mark pro Nase zu.
Die deutschen Trikots stammten von Erima, Adidas hatte mit dem DFB aber einen Schuhvertrag – und dem musste sich sogar Günter Netzer trotz privaten Kontrakts mit Puma fügen. Adidas war noch bei einem weiteren Spitzenteam involviert – bei den Niederlanden. Auch dort gab es einen Puma-Star – und er widersetzte sich dem Sammelvertrag mit Adidas.
Warum Hollands Torwart die Nummer 8 trug
Johan Cruyff war 1974 vielleicht sogar vor Franz Beckenbauer der beste Fußballer Welt. Er hatte die goldene Ära von Ajax Amsterdam geprägt, das 1971, 72 und 73 den Europapokal der Landesmeister gewann. Obwohl die Holländer erstmals bei einer WM-Endrunde dabei waren, rechnete man sie zu den aussichtsreichsten Mannschaften. Sie gingen mit einer eingespielten Mannschaft ins Turnier, andere, die hoch gehandelt worden waren, mussten sich erst noch finden. Cruyff nannte man den „König“ – weil der „Kaiser“ ja schon an Beckenbauer vergeben war.
Cruyff nahm eine Sonderrolle in der „Elftal“ ein. 21 Rückennummern wurden nach dem Alphabet vergeben, was zu der Kuriosität führte, dass Torhüter Jan Jongbloed die 8 bekam und Stürmer Ruud Geels die 1. Johan Cruyffs 14 blieb aber unangetastet, er setzte das Alphabet außer Kraft. Und entwand er sich auch der Vereinbarung mit Adidas. Von seinem Trikot ließ er einen der drei Streifen entfernen, im nahen Fernsehbild konnte man erkennen, dass auf seinem Trikot und entlang der Hose nur zwei Streifen vorhanden waren – wie bei billiger und schlechter Markenpiraterie. Es war die Kompromisslösung im damals mit Heftigkeit ausgetragenen Streit der von Brüdern gegründeten Herzogenauracher Ausrüster. Cruyff konnte seinen Puma-Vertrag behalten, der holländische Verband seinen Adidas-Vertrag.
Der Streit zwischen Cruyff und Adidas wurde 40 Jahre später – zwei Jahre vor dem Tod des Stars – zu einem Fall für die Gerichte. Cruyff hatte eine eigene Sportswear-Marke aufgelegt: zwei Streifen und die Nummer 14. Adidas klagte dagegen. Cruyff argumentierte: „In dieser Kombination gehört das mir.“
Bereits 1974 machte ein weiterer bekannter Fußballer in Mode: der unrebellische und kreuzbrave Uwe Seeler. Er erkannte das Potenzial seines Namens und Images und tauchte nach seinen eigenen WM-Teilnahmen von 1958 bis 70 nun im Umfeld der Weltmeisterschaft als Geschäftsmann auf. Uwe Seeler hatte begonnen, Herrenhemden herstellen zu lassen, ihr Kennzeichen war der große Kragen. Die alten Beziehungen zum DFB verhalfen ihm dazu, dass die „Uwe-Seeler-Hemden“ offizieller Bestandteil der deutschen Teamkleidung wurden.
„Uns Uwe“ wollte auch der Uwe des Ostens Deutschlands sein. Er schlug daher während der WM im Quartier der DDR-Mannschaft in Quickborn auf, um den Nationalspielern des Arbeiter- und Bauernstaats auf sportkameradschaftlicher Basis je eines seiner Hemden zu schenken. Waren die schließlich nicht alle heiß auf Klamotten und Lifestyle aus dem Westen? Das vielleicht schon. Doch die Delegationsleitung entschied, das Geschenk abzulehnen. Man wollte sich vom Klassenfeind nicht kapitalistisch vereinnahmen lassen.
1865753 Zuschauende wurden gezählt bei den insgesamt 38 Spielen 1974 in Deutschland, im Schnitt waren das 49098. Das war ordentlich, lastete die damals aber fassungsstarken Betonschüsseln (durchschnittlich 68200) nicht aus. Die Exoten Haiti, Zaire und Australien waren nicht sonderlich zugkräftig, und anders als im 21. Jahrhundert war der Fußball-Tourismus noch nicht international ausgeprägt. Dafür kam, wer in Deutschland lebte, umstandslos an Eintrittskarten. 2006, als die WM erneut von (einem nun vereinten) Deutschland ausgerichtet wurde, empörten sich viele Deutsche, dass sie leer ausgingen, weil die Tickets in alle Welt gingen.
Die WM 1974 entwickelte also einen großen heimischen Markt, und vor allem Buchverlage erkannten das große Geschäft, das sie machen konnten. Neun Bücher erschienen in Deutschland nach dem Turnier – in die Eiche-rustikal-Schrankwände musste ein Erinnerungsstück an den Fußballsommer.
Das WM-Geschäft des Kochbuchverlags
Einen Coup landete Helmut Sigloch aus dem schwäbischen Künzelsau, der sich mit seinen Büchern auf das Thema Kochen und Kulinarik konzentriert hatte. Er entschied sich dazu, ein WM-Buch auf den Markt zu bringen, als Herausgeber und offizielle Autoren verpflichtete er den FC-Bayern-Trainer Udo Lattek und die jungen Münchner Nationalspieler Paul Breitner und Uli Hoeneß. Im Oktober 1973 stellte Verleger Sigloch sein Projekt bei einer Pressekonferenz vor, Hoeneß und Breitner ließ er mit dem Helikopter nach Künzelsau einfliegen.
Die Aufgabe der Spieler: Jeder schrieb acht Kolumnen, einige vorab (Paul Breitner erzählte erstmals, wie er sich bei Uli Hoeneß im Kohlenkeller vor den Feldjägern der Bundeswehr versteckt hatte), einige während des Turniers. Vor allem aber ging es um ihre Original-Unterschriften, die das Buch zum wertvollen Zeitdokument machen sollten: Schon weit vor der WM begannen Hoeneß und Breitner durchnummerierte Papierbögen zu beschriften, die vor der Auslieferung ins Buch eingeheftet wurden. Durch die Nummer und die Autogramme wich jedes Exemplar vom anderen ab.
Durch den WM-Gewinn war für den Verlag Sigloch der wirtschaftliche Erfolg gesichert. Er verkaufte 300000 Stück des WM-Buchs. Uli Hoeneß und Paul Breitner bekamen für jedes Buch und somit jede Unterschrift eine D-Mark. Der Begriff „eine schnelle Mark machen“ fand hier ein gutes Beispiel.
Hoeneß und Breitner verdienten allein durchs Buch je 300000 D-Mark. Das Vierfache dessen, was als WM-Prämie mit dem DFB in Nächten der langen Messer ausgehandelt wurde. Mit einem WM-Boykott hätten sie sich allerdings das weitaus größere persönliche Geschäft kaputt gemacht.