Ob Frank Busemann wieder vor Schreck aus dem Bett gefallen ist, ist noch nicht überliefert. Der ehemalige Zehnkämpfer befindet sich aktuell als TV-Experte bei der Leichtathletik in Rom. Und wird sicher ganz genau verfolgt haben, wie Leo Neugebauer sich den nächsten Eintrag in die Geschichtsbücher gesichert hat. Vor einem Jahr hatte er den Rekord von Legende Jürgen Hingsen geknackt, bei den College-Meisterschaften in Eugene katapultierte sich Neugebauer nun mit 8961 Punkten zum Topfavoriten für die Olympischen Spiele in Paris. Die magische Marke von 9000 Punkten ist in Reichweite.
Die deutsche Leichtathletik hat wieder einen internationalen Star. Der vermutlich auch deshalb so gut ist, weil er eben nicht in Deutschland, sondern in Amerika lebt und trainiert. Geboren in Görlitz, aufgewachsen in Baden-Württemberg, 2019 folgte der Schritt an die University of Texas. 200 Millionen beträgt der Sportetat der Universität, das kommt an den Etat des gesamten deutschen Leistungssports ran. Neugebauer kann direkt vor der Haustür trainieren, hat medizinische Betreuung rund um die Uhr und einen eigenen Trainer, der mit zu den internationalen Wettkämpfen fliegt.
„Es gibt kein Limit. Ich will keinen Druck aufbauen, aber er kann etwas vollbringen, was noch niemand geschafft hat“, sagt Coach Jim Graham. Die Lobgesänge überschlagen sich. Das „Wall Street Journal“ schrieb „The Best Athlete in America is a Giant German“ (Der beste Athlet in Amerika ist ein riesiger Deutscher). Busemann sagt: „Seit einigen Jahren ist er so gut drauf, dass immer, wenn er antritt, für alle anderen Gefahr besteht.“
Und wie geht ein 23-Jähriger mit so viel Rampenlicht um? Neugebauer liebt die große Bühne. Die WM in Budapest 2023 machte er zu seiner Show, feierte noch während der Wettkämpfe mit dem Fanclub auf den Tribünen, schoss hunderte Selfies. Nach dem ersten Tag lag er auf Goldkurs, startete dann jedoch miserabel in den zweiten und fiel auf den fünften Platz zurück. Die Erfahrungen von Budapest, so lautete die Botschaft schon vergangenen Sommer, sollen der Schlüssel zu einer Medaille in Paris sein. Die Leistung von Eugene ist überragend, aber der Höhepunkt des Jahres sind nun mal die Olympischen Spiele. King Leo muss dann abliefern, wenn die ganze Welt zuschaut. Und die Scheinwerfer sind nun mehr denn je auf die deutsche Leichtathletikhoffnung gerichtet.