Für den deutschen Fußball ist er die Lichtgestalt: Toni Kroos vor seinen letzten Spielen. © dpa/Federico Gambarini
Herzogenaurach – Im DFB-Medienzentrum in Herzogenaurach flimmerte gestern den Vormittag über stumm der Kinofilm „Kroos“ aus dem Jahr 2019 über zwei turnhallenwandgroße Screens, als Einstimmung auf den folgenden Auftritt des Protagonisten in der Pressekonferenz. „Habe ich eingeschaltet“, sagt Toni Kroos.
Kleiner Scherz. Aber es ist schon so, dass er wie ein Regisseur und in Cinemascope denkt, wenn er sich den möglichen Stoff der kommenden paar Wochen vor Augen führt: Wenn er nach Rücktrittsankündigung, großem Vorhang in Madrid, dem abermaligen Champions-League-Triumph mit Real jetzt auch noch als Nationalmannschafts-Rückkehrer die Europameisterschaft gewänne, „wäre das fast schon ein kitschiges Ende“, wie er sagt. Aber genau so hat der 34-Jährige es vor. „Ich würde dieses Ende nehmen.“
Erst einmal hat er die Erlebnisse und Emotionen der vergangenen zwei Wochen „im Kopf ein Stück nach hinten schieben müssen“. Einen Tag Genuss hat er sich nach dem Erfolg in der Königsklasse gegönnt, dann aber die Fokussierung für die letzte Aufgabe seiner Karriere gefunden. Es sind maximal noch sieben Spiele, die ihm bevorstehen. Er würde gerne auf die Kroaten treffen (mit Luka Modric, über den er sagt: „Wir haben bei Real zehn Jahre Seite an Seite gespielt und uns genossen“) oder auf Spanien – „denn das hieße, dass wir die Vorrunde überstehen“. Mit dem Erreichen minimaler Ziele hat sich das DFB-Team zuletzt schwergetan. Beim letzten großen Scheitern, der WM 2022 in Katar, war er allerdings nicht dabei. Nach der EM 2021 (Achtelfinal-Aus) hatte Kroos sich aus der Nationalmannschaft verabschiedet.
Er erlaubt sich ein paar Witze über den Zustand, in den die Repräsentanz des deutschen Fußballs geraten ist. Für manche Spieler im jetzigen Kader sei es „kein Nachteil, dass sie keine Turniererfahrung haben“, und seine Kinder, die am Freitag (21 Uhr) beim Eröffnungsspiel gegen Schottland im Münchner Stadion sein werden, seien „erfolgsverwöhnt – also haben sie in den letzten Jahren wenig von der Nationalmannschaft gesehen“. Es ist diese Coolness, die Kroos auch als erfolgreicher Podcaster verkörpert, die nun dem DFB helfen soll. Wie er sich seine Rolle vorstellt: Er will seine Ausstrahlung einbringen, damit die Mitspieler wissen, „wenn es ein Problem gibt, bin ich da; wenn jemand Zweifel hat, dann den Ball zu mir. Wenn drei von elf auf dem Platz sich unwohl fühlen, wird‘s nicht funktionieren.“ Mit einem Spieler wie ihm steige die Chance, „dass jeder sein Potenzial entfalten kann“.
Toni Kroos ist eine Bank – nicht nur als der Typ, der im Kopf immer die Lösung parat hat, sondern auch körperlich. Reiner Calmund hatte dem einst zur Pausbäckigkeit neigenden jungen Kroos prognostiziert, er werde „mal ein gemütlicher Dicker“, doch der Kroos am Ende seiner Spielerkarriere wirkt drahtig und austrainiert. Julian Nagelsmann sagte: „Wenn ich ihn zur Begrüßung umarme, spüre ich einen Mann aus Stahl.“
Kroos in seinem ironischen Understatement empfindet sich selbst gar nicht als sonderlich athletisch. „Ich hatte mir auch mal vorgenommen, schneller zu werden, und das hat nicht funktioniert. Ist aber nicht schlimm. Mitte meiner Karriere habe ich entschieden, einen Tick mehr auf meinen Körper zu achten und im Zweikampf robuster zu werden, weil ich in der Position weiter nach hinten gerückt bin.“ Auf den letzten Metern seiner Karriere wird ihn niemand mehr umwerfen. GÜNTER KLEIN