Glücklich: Zwei Autogrammjäger und ihre reichlich beschrifteten Trikots © IMAGO
Fannähe wird mittlerweile wieder groß geschrieben – so wie hier von Jamal Musiala. © IMAGO/Frank Hoermann / SVEN SIMON
Herzogenaurach – Neulich war eine Gruppe von Kindern zu Gast bei der Pressekonferenz des DFB in Herzogenaurach. Man ließ sie ein paar Fragen stellen. Eines der kleinen Mädchen hatte Geburtstag. „Dann gratuliere ich dir erst einmal herzlich“, sagte Antonio Rüdiger, der auf dem Podium saß. Hinterher verließ er keineswegs fluchtartig den Saal, wie man das früher von Nationalspielern schon gesehen hat, sondern bewegte sich ins Auditorium, um jedes der Kinder samt Betreuer persönlich mit Handschlag zu begrüßen und sich fürs Kommen zu bedanken. Antonio Rüdiger, der Champions-League-Sieger, der sich darauf versteht, auf dem Platz einschüchternd zu wirken und der im Training auch die Mitspieler hart angeht – er war der Inbegriff der Zugewandtheit.
Seine Aktion mit den Kindern war spontan, sie schien aus dem Herzen zu kommen – und sie passt ins Bild, das die Nationalmannschaft derzeit von sich schafft. Das zweite öffentliche Training vor 4000 Menschen in Herzogenaurach, war ein Beispiel für den neuen Stil im Auftreten. Die Nationalspieler waren ja selten unfreundlich, aber sie taten auch nichts, um die Distanz zu den Fans, die sich durch die vom Verband forcierte Bildung einer Bubble ergeben hatte, zu verkürzen. Und es ist jetzt ziemlich genau zwanzig Jahre her, dass die Nationalmannschaft erstmals von einem Sicherheitsdienst umgeben wurde. Mit Bundestrainer Jürgen Klinsmann kamen 2004 die Bodyguards. Einige aus der Security umschwirren das Team immer noch, einer ging am Montagnachmittag neben Toni Kroos her, als der nach dem Training Autogrammwünsche erfüllte – aber er gab nicht nur das Schutzschild, sondern nahm mit helfender Hand Plakate und Textilien zur Unterzeichnung entgegen.
Die derzeitige Nationalmannschaft ist nahbar wie lange keine vor ihr. Das liegt auch daran, dass einige Spieler noch nicht lange dabei sind und wissen, woher sie kommen. Einen wie Deniz Undav hat noch keine Medienschulung versaut, er steht staunend vor der eigenen Karriere, die Kollege Jonathan Tah so zusammenfasst: „Ein Freund von mir hat mit ihm vor ein paar Jahren beim TSV Havelse gekickt – und jetzt steht Deniz im EM-Aufgebot.“ Es liegt auch an einem wie Niclas Füllkrug, der versichert, wenn er nicht nominiert wäre, würde er das Turnier „als Fan bei Omma und Oppa im Garten anschauen“. Dass der Dortmunde in einem überfüllten Zug anreiste und trotz Berechtigung für die erste Klasse die Zeit stehend bei einer Abiturienten-Gruppe verbrachte, ist schon jetzt eine der guten Geschichten der EM.
Füllkrug stellte sich am Ende des Trainings genauso wie Jamal Musiala zum Foto mit Gästen des Vereins „Lebenshilfe“, einem Projekt zur Förderung behinderter Menschen. Die anderen schossen und warfen Bälle auf die Ränge des Adi-Dassler-Stadions, Autogrammwünsche wurden geduldig abgearbeitet. Die Trophäenjagd und der kurze Moment, von den Stars beachtet zu werden, waren wichtiger als das „unglaubliche Training“, das Sportdirektor Rudi Völler als Conferencier angekündigt hatte.
Kinder tragen Toni-Kroos-Haarschnitt, an den Zäunen rund um den Homeground in Herzogenaurach, dieses eigentlich weit abgelegene Gebiet, sind Transparente und Fahnen von Fan-Gruppierungen angebracht, und mit den „Hamburger Goldkehlchen“ hat sich ein 70-köpfiger Chor gefunden, der das Team im Stadion unterstützen wird. „Bei Länderspielen“, sagt Niclas Füllkrug, „hat man keine Ultra-Gruppierungen, die den Ton angeben.“ Bei der EM vielleicht doch. GÜNTER KLEIN