Aus Respekt ist Liebe geworden: Rangnick genießt in Österreich ein hohes Ansehen – man glaubt an ihn. © IMAGO/Matthias Koch
Berlin – Besondere Herausforderungen erfordern besondere Maßnahmen. Weil sich Ralf Rangnick seit jeher gerne um alles kümmert, hat Österreichs Teamchef vor dem Auftaktspiel gegen Frankreich in Düsseldorf an diesem Montag (21.00 Uhr) für Ablenkung gesorgt. Und organisierte Karten für ein Konzert von Pop-Ikone Rod Stewart, der am Samstag in Berlin gastierte.
Die Auswahl des Österreichischen Fußball-Bundes (ÖFB) hat ihr Basiscamp schließlich im Herzen der Hauptstadt, im Kraftzentrum beim deutschen Sommermärchen 2006 errichtet: im feudalen Schlosshotel Grunewald. Vieles wirkt ganz ähnlich orchestriert wie einst bei den Deutschen. Trainiert wird im Stadion am Wurfplatz im Olympiapark, die weiteren Gruppenspiele gegen Polen (21. Juni) und die Niederlande (25. Juni) steigen im Olympiastadion. Der Schwabe betont einerseits, man habe die „mit Abstand schwierigste Gruppe“ erwischt, andererseits beteuert der 65-Jährige auch: „Wir sind in der Lage, mit jedem auf hohem Niveau zu konkurrieren. Wir gehen nicht zur EM, nur um teilzunehmen.“ Typisch für einen Bessermacher, der ein Team hinter dem Team bisweilen Tag und Nacht fordert; prägend für einen Baumeister, der sich mit Dienst nach Vorschrift noch nie begnügt hat. Schlaf und Ernährung, Mental- und Athletiktraining werden von ihm stets mit angesteuert. Rangnick hat das Angebot im Mai 2022 aus der Alpenrepublik vor allem deshalb angenommen, weil er endlich wieder das machen kann, was ihm schon am Anfang in Ulm oder Hoffenheim auf den Leib geschneidert war: eine eher langfristige Entwicklung mit (fast) allen Freiheiten gestalten.
Nur: Beim Aufbau des Red-Bull-Projekts von RB Leipzig schien der Übergang ins Management vollzogen, doch in ihm steckt einfach zu viel Trainer-Gen. Am Nadelöhr zur Bundesliga (2015/2016) und vor der Inthronisierung von Julian Nagelsmann (2018/2019) stand der Überzeugungstäter doch wieder an der Linie. Es folgte eine Phase mitten in der Pandemie, in der dieser rastlose Tausendsassa ein bisschen Abstand gewann. Sich über seine Stiftung um benachteiligte Kinder an Leipziger Schulen kümmerte.
Liebend gerne wäre Rangnick nach der EM 2021 auf Joachim Löw als Bundestrainer gefolgt; nur hätte er die Direktion von Oliver Bierhoff auf links gekrempelt. Weshalb der DFB erst die WM 2022 in Katar in den Sand setzen musste, um diese Strukturen aufzubrechen. Vielleicht hat jede Nation letztlich den Fußballlehrer bekommen, den sie gerade verdient. In Österreich sind sie von ihrem Coach deshalb so begeistert, weil er ihnen trotz des verlockenden Angebots vom FC Bayern nicht von der Fahne ging. Seitdem scheint aus Respekt und Wertschätzung sogar Liebe geworden zu sein.
Rangnick steht für Erfolgshunger, den viele ÖFB-Funktionäre in dieser Ausprägung nicht kannten. Sieben Länderspiele hat Österreich nicht mehr verloren. Eine besondere Rolle spielt David Alaba. Nach seinem Kreuzbandriss ist der Kapitän zwar nicht fit geworden, aber Rangnick will ihn als „Non-Playing-Captain“ dabei haben; ein Bindeglied zwischen Mannschaft und Trainer kann ja nicht schaden. Fest steht für Rangnick: „Wenn wir in dieser Gruppe weiterkommen, dann kommen nicht mehr viel schwierigere Gegner.“ FRANK HELLMANN