Gegen „Emotionsgedusel“

von Redaktion

Turnier-Routinier Müller über die Historie zweiter Spiele

Sie wollen die Mitspieler auf dem Boden halten: Toni Kroos (l.) und Thomas Müller, die Weltmeister von 2014. © AFP/MIGUEL MEDINA

München/Herzogenaurach – Den alten Fahrensmann Thomas Müller hat der Freitagabend nicht kaltgelassen. Die schottische Hymne, intoniert von einer Mindestens-Zehntausenderschaft, hat auch der 34-Jährige noch nicht allzu oft gehört, ein wenig Feierlichkeit gönnte sich also auch der Münchner. Doch nach dem 5:1-Auftaktsieg über Schottland machte er den Kopf schnell wieder frei. Er wollte kein „Emotionsgedusel“, denn: „Das liest sich ganz gut, aber es trägt dich nicht durchs Turnier.“ Er ordnete das Geschehen analytisch ein: „Es geht nicht um Gefühle, sondern um Punkte.“ Drei aus dem ersten Spiel bedeuten in diesem Format, dass man auch nach einer Niederlage im zweiten Match nicht weg wäre. Man hat, was aus diesem Turnier wird, in die eigene Hand genommen.

Ja, was kann daraus werden? Man hat noch nicht von allen teilnehmenden Teams einen Eindruck gewinnen können, weil sie erst nach und nach einsteigen. Wohl aber hat die deutsche Nationalmannschaft ihre Duftmarke gesetzt. „5:1 ist ein Statement“, sagte Kai Havertz, per Strafstoß Schütze zum 3:0-Pausenstand, „das Ergebnis zeigt, welche Qualität wir haben“. Jamal Musiala und Florian Wirtz begeisterten am plakativsten. „Sie kommen nicht nur über ihr Potenzial“, meinte Thomas Müller, „sondern sind Macher“.

Als Frage blieb stehen, welchen Maßstab der Gegner Schottland bieten konnte. Es sieht so aus, als beschränkte sich seine Attraktivität auf die die Mannschaft umgebende Fan-Folklore. Die elf und ab der 45. Minute und dem Platzverweis zehn Spieler wirkten in allen Zonen des Feldes überfordert. Wobei man es schon auch so sehen kann wie Niclas Füllkrug: „Dass bei den Schotten vorne nichts ankam, hatte auch damit zu tun, dass wir wahnsinnig gut verteidigt haben.“ Im Internet gab es lustige Fotomontagen über die Unterbeschäftigung von Manuel Neuer, der während seines Spiels mit Lebensgefährtin auf der Tribüne sitzt oder sich vor seinem Tor auf dem Rasen liegend mit einem Brettspiel beschäftigt, der am Torpfosten lehnt und liest oder die erste Halbzeit über schläft. Die Statistik verzeichnete für Schottland einen beschämenden Wert von 0,01 Expected Goals.

Dass sie trotzdem eines erzielte mit einem Mann weniger (zum 1:4), wenngleich begünstigt durch Antonio Rüdigers Missgeschick, war irgendwie der verdiente Lohn für den fußballkulturellen Beitrag der Briten zur EM – die Deutschen hat es aber mächtig geärgert, dass ihnen das greifbar nahe erste EM-zu-null-Spiel seit der Vorrunde 2016 kaputtgemacht wurde. Für Nagelsmann war der Mangel an Gleichmut aber ein gutes Zeichen. Weil der Treffer aus einem Freistoß entstand, „hatte unser Standardtrainer hinterher keine gute Laune“, erzählte er über den Assistenten Mads Buttgereit.

Der Bundestrainer will „nicht Mahner sein, nicht bremsen“ – aber das übernehmen die erfahrenen Spieler seines Kaders. Thomas Müller ist firm in der Geschichte berüchtigter zweiter Turnierspiele. „Die Energie“, dozierte er, „kann schnell weichen.“ Er erinnerte an die WM 2010 und das 1:2 gegen Serbien. An die WM 2014 und Ghana, gegen das „wir gerade noch 2:2 gespielt haben“. Müller: „Auch wenn es Gegner sind, die die Fußballpresse als kleinere bezeichnet: Die Widerstände werden kommen.“ Bei Ungarn wird man am Mittwoch (18 Uhr) davon ausgehen können. Niclas Füllkrug ist sich sicher: „Dass wir abheben, wird nicht passieren. Wir haben viele Jungs, die den Takt vorgeben werden.“ GÜNTER KLEIN

Artikel 1 von 11