Ein gelungener Start in ein Fußballturnier ist nicht nur für die Spieler von Bedeutung, sondern auch: für den Trainer! Erst recht für einen auf diesem Gebiet zuvor noch völlig unerfahrenen Chefcoach im zarten Fußballlehrer-Alter von 36 Jahren. Julian Nagelsmann hat bei der EM-Eröffnung seinen Bachelor mit Note eins und Sternchen drüber bestanden. Am 14. Juli in Berlin könnte er den Masterabschluss bestehen. Aber gemach, noch haben wir Mitte Juni.
Und doch bedarf es des Lobes für Nagelsmann: Jeder Handgriff hat gesessen, jede taktische Idee funktioniert, jede Auswechslung gepasst. Sowohl operativ am Abend in der Münchner Arena als auch strategisch im Vorfeld sind Nagelsmann keine handwerklichen Fehler unterlaufen.
Irgendwann um die Jahreswende herum hatte sein Berater Volker Struth Nagelsmann und Toni Kroos zusammengebracht. Das fügte sich deshalb wunderbar, weil Netzwerker Struth auch als Manager des Mittelfeldspielers unterwegs ist. Die Handynummern lagen also vor, Nagelsmann und Kroos telefonierten mehrfach, der Trainer konnte den Spieler überzeugen, dass ein Projekt mit Herz und Verstand bevorstand. Kroos sagte zu.
So kam es, dass Kroos sich überforderten Schotten immer wieder geschickt entzog, 101 von 102 Zuspielen zum eigenen Mann brachte und damit seit Beginn der Datenerfassung einen EM-Rekord aufstellte.
Das Projekt Toni Kroos ist ja schon im März erfolgversprechend angelaufen und hat seitdem für einen Stimmungsumschwung im Fußballland gesorgt. Es scheint sich, so der erste Eindruck dieser Europameisterschaft, auf diesem hohen Niveau zu manifestieren. Und zwar auch deshalb, weil Nagelsmann so klug war, Kroos und Ilkay Gündogan nicht nebeneinander zu platzieren, wie es noch bei der EM 2021 Joachim Löw angeordnet hatte, sondern hintereinander.
Gestattet sei Nagelsmann sein bisweilen extrovertiertes Posing, das ihn nach dem Spiel zur Freundin, der Ex-Bayern-Reporterin Lena Wurzenberger, führte und für ein gefälliges Abschlussbild des Abends sorgte. Eine Fußball-Europameisterschaft geht in ihrer Wirkmacht weit übers Fußballfeld hinaus und soll der Gesellschaft auch Bilder der Gemeinsamkeit vermitteln. Insoweit: Auch hier alles richtig gemacht, Herr Nagelsmann. redaktion@ovb.net