Breel Embolo verliert seine Bandage. © IMAGO
Zufrieden: „Nati“-Coach Murat Yakin. © Kudryavtsev/AFP
Köln – Murat Yakin war nach dem letztlich überzeugenden Auftakterfolg der Schweizer gegen Ungarn (3:1) natürlich bestens gelaunt. „Klar ist der Sieg eine persönliche Genugtuung“, verriet der 49-Jährige mit seiner graumelierten Mähne, als ihn unvermittelt die Frage erreiche, ob er auch ein guter Pokerspieler sei. Der Coach blickte verdutzt durch seine Brillengläser, um mal klarzustellen: „Ich spiele lieber Schach. Beim Poker weiß man nie, was der Gegner auf der Hand hat.“
Ein besseres Sinnbild hätte der frühere Bundesligaspieler vom VfB Stuttgart und 1. FC Kaiserslautern nicht liefern können: Denn seine taktischen und personellen Winkelzüge gingen in Manier eines Großmeisters auf. Weder sein Kapitän Granit Xhaka noch sein Gegenüber Marco Rossi hatten mit Kwadwo Duah und Michel Aebischer in der Startelf gerechnet. Auf Aufstellung und Ausrichtung hatten die vor allem erste Halbzeit massiv überfordert wirkenden Magyaren keine Antwort.
Schachmatt auf Schweizerisch sah auf dem Spielfeld so aus: Einen blitzgescheiten Aebischer-Steckpass verwertete der flinke Duah zum 1:0 (12.), der fleißige Aebischer erzielte mit einem filigranen Schlenzer das 2:0 selbst (45.). Und um das glückliche Händchen des Strategen Yakin zu krönen, traf der eingewechselte Breel Embolo zum 3:1 (90+2). Kurios: Die Bandage, die den Stürmer wegen einiger Oberschenkelprobleme stützen soll, schüttelte Embolo einfach ab, dann lupfte er den Ball über Peter Gulasci ins Tor. „Wir haben das alle gesehen und uns auf der Bank kaputt gelacht“, berichtete der Mainzer Silvan Widmer.
Letztlich bringe er „die formstärksten Spieler“, erläuterte Yakin. Der bei Ludogorets Rasgrad spielende Stürmer Duah hätte im Training „viele gute Laufwege“ gezeigt – dann reichen halt 45 Minuten Länderspielerfahrung fürs EM-Debüt. Und Mittelfeldantreiber Aebischer blicke halt auf „eine super Saison“ beim FC Bologna, der sich für die Champions League qualifiziert hat.
Der bis vergangenen Sommer noch für den 1. FC Nürnberg spielende Duah hat den wohl schwierigsten Weg in die Heldenrolle. Beim Club schwang er sich zum Toptorjäger auf, so dass vor einem Jahr rund drei Millionen Euro Ablöse für seinen Wechsel nach Bulgarien flossen. Lange hatte das Kraftpaket zwar überlegt, für den ghanaischen Fußballverband anzutreten, doch das Warten auf die Einladung aus der Schweiz könnte sich gelohnt haben. „Jetzt kennt ihn ganz Europa“, flötete Yakin, der indes nicht verschweigen wollte, dass „wir noch viel Arbeit vor uns haben“. Die unruhige Phase rund ums Anschlusstor von Barnabas Varga (66.) erinnerte wieder an die zähe EM-Qualifikation.
Unter dem Strich waren die Ungarn allerdings deutlich unterlegen – und sind in dieser Verfassung der nächste Sparringspartner der Deutschen. Erstaunlich, wie viele Patzer sich in der anfälligen Abwehr Willi Orban leistete; erschreckend, wie wenig Durchsetzungsvermögen Dominik Szoboszlai aufbrachte: Der ja immerhin beim FC Liverpool hochgeschätzte ungarische Kapitän wirkte ausgebrannt und appellierte hinterher an alle, sich endlich aufzuraffen: „Wir sind nicht hier, um Kinderfußball zu spielen.“ Auch sein Nationaltrainer Rossi ging hart mit sich selbst ins Gericht und ernannte sich zum „ersten Sündenbock“. Wenn man jetzt auf den Gemütszustand schaue, führte der Italiener aus, „dann erscheint es ein fast unmögliches Unterfangen, dass wir in vier Tagen gegen Deutschland gewinnen“. FRANK HELLMANN