Rumänische Party: Torschütze Stanciu. © IMAGO
Bilder, die bleiben: Schewtchenko am Wittelsbacher Platz – vor der zerstörten Tribüne des Stadions in Charkiw. © dpa
Ein Zeichen an die Welt: Auch wenn der Auftakt der Ukraine gegen Rumänien sportlich misslang, kam die Friedensbotschaft an. © IMAGO/Pierre Teyssot
München – Das Stadion war gelb, einfach nur gelb – und obwohl die Fans beider Teams dieselben Farben trugen, merkte man am Montagnachmittag in der Münchner Arena schnell, dass die rumänischen Anhänger bei diesem ersten Spiel der Gruppe D in der Überzahl waren, aber die Ukrainer auf dem Rasen die Herzen berührten. Eingehüllt in ihren blau-gelben Fahnen standen die elf Mann vor dem Anpfiff da, als die Nationalhymne des Landes ertönte, das sich seit 22. Februar 2022 im Krieg befindet. Sie sangen für sich, als Motivation für ein erfolgreiches Abschneiden bei der EURO; aber sie sangen vor allem für eine ganze Nation, als Mutmacher. Dass das Auftaktspiel nach Treffern der Rumänen Nicolae Stanciu (29.), Razvan Marin (53.) und Denis Dragus (57.) 0:3 (0:1) ausging, war ärgerlich und tat weh. Aber dieses Spiel war doch mehr als Fußball.
Man hatte schon in den Stunden vor dem Anpfiff des zweiten EM-Spiels in München in der Innenstadt sehen können, was die Mission des Viertelfinalisten von 2021 ist. Als Andrij Schewtchenko am Wittelsbacher Platz auftrat, konnte er kaum ausreden. Nahezu jeder Satz von ihm wurde von der Masse mit „Sheva, Sheva!“-Rufen gefeiert, allein als er die Bühne betrat, hielt der Jubel minutenlang an. Vor dem Auftaktspiel gegen Rumänien hielten die ukrainischen Fans eine Demonstration gegen den russischen Angriffskrieg ab, dazu wurde eine Installation mit zerbombten Sitzreihen aus dem Stadion in Kharkiv eröffnet. Die Arena, in der normalerweise 40 000 Menschen Platz finden, wurde von Raketen zerbombt – ein paar übergebliebene Sitze stehen nun als Wander-Installation in der Münchner Innenstadt, ehe sie weiter in den nächsten Spielort Düsseldorf ziehen.
Entsprechend emotional zeigten sich die Fans vor Ort, die immer wieder „Putin? Mörder!“-Rufe anstimmten – doch auch Schewtschenko fand klare Worte: „Heute stehen elf Spieler auf dem Platz, aber zuhause kämpfen Millionen für den Sieg. Es ist wichtig, dass wir hier sind und zeigen, dass wir noch leben“, sagte der erfolgreichste Nationalspieler des Landes auf die Frage, wie wichtig das Turnier in Zeiten des Krieges sei. Dessen Grausamkeit sollte trotz der erhofften Fußball-Feste verdeutlicht werden – trotzdem waren die Ukrainer bemüht, vor ihrem Turnier-Auftakt für Zusammenhalt zu sorgen.
„Wir wollen auch zeigen, dass wir guten Fußball spielen können“, ergänzte ein sichtlich emotionaler Schewtschenko und lenkte den Fokus gezielt wieder auf den Sport. Das allerdings gelang am Montag nicht. Obwohl die Ukraine das Spiel zunächst bestimmte, geriet das Team von Trainer Serhiy Rebrov mit dem ersten Angriff der Rumänen in Rückstand. Ein Befreiungsschlag von Real-Keeper Andrij Lunin misslang, der Ball kam zu Stanciu, der unhaltbar ins linke Kreuzeck traf. Danach drehte Rumänien auf und machte in der zweiten Halbzeit mit einem Doppelschlag durch Marin (53.) und Dragus (57.) alles klar. „Niemand hat dieses Ergebnis erwartet“, sagte Rebrov: „Wir haben im Grunde genommen in allen Bereichen verloren.“ Die Spieler entschuldigten sich sogar, schickten den Coach dann aus der Kabine für eine Aussprache. „Alle sind unglücklich“, sagte er, wollte die speziellen Umstände aber nicht als Ausrede gelten lassen. Gegen die Slowakei und Belgien ist die Ukraine nun unter Zugzwang – und muss zeigen, was die Fans sich erhoffen.
So wie etwa Krystyna Dolishniak, die während der Rede mit einem Schild für eine Freilassung der ukrainischen Gefangenen demonstrierte, aber trotzdem über Fußball sprechen wollte: „Wir wollen ihn nutzen, um zu zeigen, dass die Ukraine Widerstand leistet! An der Front im Krieg, aber auch beim Eurovision Song Contest oder der Europameisterschaft – wir geben nicht auf.“ Vom „besten Kader aller Zeiten“ sprachen die beiden Freunde Andrij Daliba und Nick Bobrovskyi und sagten: „Jetzt müssen sie es nur noch nutzen – und können einem ganzen Land wieder Hoffnung schenken.“ Auch Schewtschenko versprach: „Wir werden nie aufhören, für unser Land zu kämpfen.“ Und sogar die rumänischen Fans skandierten: „Ukraine, Ukraine“. Wieder so ein Gänsehaut-Moment im gelben Stadion. VINZENT TSCHIRPKE, HANNA RAIF