Spurenelemente von Löw und Flick

von Redaktion

Nicht alles ist neu unter Julian Nagelsmann, einiges stammt von seinen Vorgängern

Keine einfache Zeit als Bundestrainer: Hansi Flick. © Imago

Zurück im Stadion: Joachim Löw als Besucher bei Deutschland – Ungarn in Stuttgart. © Stefan Matzke / sampics

Stuttgart – Die Vergangenheit schaute bei der Gegenwart vorbei: Alt-Bundestrainer Joachim Löw war VIP-Gast in Stuttgart beim zweiten deutschen Gruppenspiel. Selten, dass man ihn zu sehen bekommt. Vor drei Jahren hatte er sich verabschiedet vom DFB. Es gab ein paar Monate danach eine (schmucklose) Verabschiedung in Wolfsburg, Löw tauchte ein paarmal im Südwesten in Bundesligastadien auf und besuchte die Trauerfeier für Franz Beckenbauer im Januar 2024 in München. Ansonsten war er Privatier. Ohne Expertenjob. Ohne Talkshow-Auftritte. Die Ausnahme war sein freundliches Mitwirken am ARD-Podcast „Wir Weltmeister“ und der zugehörigen TV-Dokumentation. Zehn Minuten Gesprächszeit wollte sein Berater anfangs zusagen, doch Löw redete mit Hörfunk-Reporter Martin Roschitz einen ganzen Tag. Er empfing im Freiburger Parkhotel, in dem er Büroarbeiten erledigt und seine Mahlzeiten einnimmt. Löw hat sich völlig seinem badischen Dialekt ergeben und in seiner Heimat eingeigelt.

Doch ein bisschen von ihm steckt immer noch in dieser aktuellen und von Julian Nagelsmann trainierten Nationalmannschaft. 14 der 26 EM-Spieler kamen unter Jogi Löw in die Nationalmannschaft, angefangen bei Manuel Neuer, den er zur WM 2010 nach erst fünf Länderspielen zur Nummer eins machte. Zu Ilkay Gündogan hielt Löw während dessen Verletzungsphasen immer Kontakt, er überredete ihn in den schwierigen Phasen wie nach der Erdogan-Trikotaffäre 2018, Nationalspieler zu bleiben. Dass Jamal Musiala sich nach im englischen Nachwuchssystem verbrachten Jahren für die deutsche A-Nationalmannschaft entschied, ist Löws Vermächtnis. Er warb nachhaltig um den Bayern-Jungstar und nominierte ihn für die EM 2021. Kai Havertz in der Spitze spielen zu lassen, das stammt auch von Löw – und zwar zu einer Zeit, als diese Rolle für Havertz im Verein noch nicht die Regel war.

2021 übergab Joachim Löw an seinen früheren Assistenten und Vertrauten Hansi Flick, es schien die logische Thronfolge zu sein. Flick scheiterte, wurde im September nach dem 1:4 gegen Japan freigestellt – ein traumatisches Ende, Flick tauchte unter, er musste sich sammeln. Nun bereitet er sich auf die große Aufgabe FC Barcelona vor.

Obwohl Julian Nagelsmann nun als das lockere und pragmatische Gegenmodell zum verkrampft nach Lösungen suchenden Flick angesehen wird – im Team 2024 finden sich sehr wohl Spurenelemente von Hansi Flick.

Die Entscheidung, Ilkay Gündogan zum Kapitän zu machen und Joshua Kimmich aus dem Mittelfeld abzuziehen und auf die rechte Abwehrseite zu versetzen, war der letzte Eingriff von Flick in die Struktur, ehe der DFB sich von ihm trennte. Sein letzter Neuling, ebenfalls im Japan-Spiel eingesetzt, war Pascal Groß, der Geheimtipp aus der Premier League. Auch Niclas Füllkrug wurde auf seine schon eher alten Tage Nationalspieler unter Flick – allerdings hatte der Trainer bei der Berufung des damaligen Bremers lange gezögert; er gab erst öffentlichem Druck nach und überwand sich, als die FIFA die Kader auf 26 Stellen erweiterte. Vorausgesehen hatte Flick aber die Entwicklung von Jonathan Tah, den selbst Experten bei der Aufzählung potenzieller Innenverteidiger immer vergaßen. Flick erinnerte explizit an den Leverkusener.

Als Flick vor drei Jahren anfing, gestattete ihm der Verband einen großen Trainerstab mit vier Mitarbeitern. Danny Röhl und Marcus Sorg mussten mit ihrem Chef gehen, Torwarttrainer Andreas Kronenberg, der für den DFB beim SC Freiburg gekündigt hatte, und Standardtrainer Mads Buttgereit übernahm Nagelsmann in sein Team.

Flick ist nach seinem DFB-Aus wieder im Geschäft, Joachim Löw, obwohl mit 64 noch nicht im Rentenalter, lässt keinen Drang zur Fortsetzung der Berufstätigkeit erkennen. Wenn es Löw-Gerüchte gibt, beziehen sie sich auf Zsolt Löw, den Mitarbeiter von Thomas Tuchel. Aber vielleicht bekommt Jogi Löw durch Stadionerlebnisse wieder Lust auf Zukunft. GÜNTER KLEIN

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