Das Comeback der Flanke

von Redaktion

Von Beruf Flankengott: David Raum. © dpa/Tom Weller

Frankfurt – Es ist die Europameisterschaft des Missgeschicks: Eigentore noch und nöcher. Es ist aber auch die EM besonderen Geschicks. Der Weitschuss erlebt gerade eine Renaissance – und es ist das Comeback der Flanke zu vermelden. Weil einer sich darauf besonders gut versteht, blieb der deutschen Mannschaft zum Vorrundenabschluss eine Niederlage erspart und ein wohl auch schwerer zu bespielender Turnierbaum.

David Raum schlägt gerne Flanken. In der Bundesliga waren es für Leipzig diese Saison über 300. Der einsame Spitzenwert in der Bundesliga. Raum saust die linke Seite entlang und versucht dann, die Bälle hoch oder scharf in die Mitte zu bringen, auf dass sie dort einen Verwerter finden.

Es gab ja berühmte Flankengeber und die dazu passenden Abnehmer. „Manni Bananenflanke, ich Kopf, Tor“, beschrieb einst Kopfballungeheuer Horst Hrubesch sein Zusammenwirken beim Hamburger SV mit Manfred Kaltz. Bei Schalke 04 und zeitweise in der Nationalmannschaft galt: Flügellauf von Rüdiger Abramczyk über die rechte Seite, hoher Ball in die Mitte, wo dann Klaus Fischer Kunststücke vom Kopfball knapp über der Grasnarbe bis zum Fallrückzieher vollführte. Bei David Raum in Leipzig ist nicht ganz klar, für wen all das Flankenfutter sein soll.

Doch in der Nationalmannschaft haben er und Niclas Füllkrug sich gefunden. Obwohl der Stürmer kein Startspieler ist und Raum noch gar keine Turnierminute hatte bis zum Sonntag, hängten sie im Training immer ihre private Einheit an. Flanke Raum, Kopfball Füllkrug. Gegen die Schweiz deutete sich an, dass sie gemeinsame Momente auf dem Platz haben würden. Raum sagte zu Füllkrug: „Wenn wir beide reinkommen, weißte Bescheid.“ Co-Trainer Sandro Wagner ließ er noch wissen, „dass ich Bock habe“. So jedenfalls entstand, was Raum „meinen Turniermoment“ nannte. Die Flanke, die den Ausgleich einleitete.

„Meine ersten zwei Versuche wurden noch geblockt“, blickte Raum zurück. Deswegen entschied er sich in der dritten Szene für eine Variante: „Ich habe noch einen Zwischenschritt genommen.“ Den Effekt beschreibt Niclas Füllkrug: „Dadurch kommt die Kette der Schweizer ins Fallen, ich kann mich vom Gegenspieler absetzen.“ Der Dortmunder Füllkrug nennt Raums Flanken „eine Waffe“, er schreibt ihr einen Fünfzig-Prozent-Anteil am Tor zu. Das andere Fifty ist seines: „Gutes Timing, wie ich ihn treffe. Auch ein bisschen seitlich, dadurch nehme ich den Drall mit.“ Die Flanke sei so kernig gewesen, „dass ich Tempo rausnehmen musste. Hätte ich versucht, den Ball zu drücken, wäre er woanders hingegangen“. So aber senkte er sich an Tormann Yann Sommer vorbei ins Netz.

„Herausragend gute Flanke, Kopfball technisch stark verwertet“, lautete das Resümee von Julian Nagelsmann. „Ich liebe solche Flanken, ich versenke die Dinger“, fügte Füllkrug an. Die Brechstange, es gibt sie noch. GÜNTER KLEIN

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