Wunder dank Willy: Georgiens Nationaltrainer Sagnol.
Kaukasus-Maradona: Jungstar Chwitscha Kwarazchelia wirbelt wie die 2020 verstorbene Napoli-Legende.
Geschichte geschrieben: Die georgischen Spieler feiern in der Areena „Auf Schalke“ ihren historischen, kaum erwarteten Einzug ins EM-Achtelfinale. © Imago (3)
Gelsenkirchen – In Georgiens Hauptstadt herrschte die pure Ekstase. Tausende Menschen feierten in Tiflis bis tief in die Nacht das Fußball-Wunder ihrer Helden, saßen auf den Dächern fahrender Autos und schwenkten ihre rot-weißen Fahnen. „Niemand wird je verstehen, was Georgier gerade fühlen“, sagte Mittelfeldspieler Giorgi Zitaischwili nach dem unwahrscheinlichen Achtelfinaleinzug der „Kreuzritter“ aus dem auch politisch aufgewühlten Land.
Durch seinen Coup gegen eine B-Mannschaft von Titelkandidat Portugal um Superstar Cristiano Ronaldo (2:0) versetzte der EM-Debütant das ganze Land in einen Freudentaumel. „Ihr könnt euch nicht vorstellen, was gerade in Georgien passiert. Es ist ein unglaubliches Gefühl, Teil davon zu sein“, sagte Otar Kiteischwili. Erste EM-Teilnahme überhaupt, und dann gleich der Einzug in die K.o.-Runde. Sein „kleines Land“ habe der „Welt gezeigt, dass wir es verdient haben, hier zu sein“, sagte Zitaischwili stolz.
Und der Erfolg macht sich für die Spieler jetzt auch schon finanziell bemerkbar: Der einflussreiche Oligarch Bidsina Iwanischwili hat die Zahlung einer Prämie in zweistelliger Millionenhöhe für die Nationalmannschaft angekündigt. Die von Iwanischwili gegründete Regierungspartei Georgischer Traum erklärte am Donnerstag, dieser werde dem Team 30 Millionen Lari (umgerechnet rund 9,98 Millionen Euro) zukommen lassen.
Auch Trainer Willy Sagnol wusste um die Bedeutung des Erfolges für das mit rund 3,7 Millionen Einwohnern zweitkleinste Teilnehmer-Land der EM. „Die einzige Verantwortung, die wir hatten“, sagte der langjährige Spieler des FC Bayern, „war es, die georgische Nation stolz auf ihre Spieler zu machen. Und ich denke, das haben wir auf die beste Weise geschafft.“ Realisieren, das gab der Franzose zu, wird das Team den Erfolg wohl erst, „wenn wir verlieren und zurück nach Hause fahren“.
Gegen die haushohen Favoriten aus Portugal brillierte vor allem Jungstar Chwitscha Kwarazchelia. Mit seinem Treffer nach nur 94 Sekunden brachte der 23-Jährige die Party früh ins Rollen und die Arena Auf Schalke zum Beben. Als überragender Spieler erhielt er zurecht die Trophäe für den „Man of the Match“ – und sendete anschließend hoffnungsvolle Worte an sein Land: „Heute haben wir gesehen, dass es möglich ist zu gewinnen – egal, wer der Gegner ist“, sagte der Starspieler der SSC Neapel.
Ihre fantastische Reise führt die Georgier und ihre Anhänger nun aus ihrem Quartier im Schwarzwald nach Köln. Am Sonntag (21.00 Uhr) steht das nächste Highlight-Spiel an – gegen den dreimaligen Europameister Spanien. Von Ehrfurcht vor großen Namen war beim Außenseiter keine Spur, im Achtelfinale will „Kwaradona“, wie er in Maradonas früherer Heimatstadt Neapel getauft wurde, einen weiteren Favoriten ärgern. „Wir werden da sein, um zu kämpfen und zu gewinnen“, kündigte er an.
Aber erstmal genoss die Mannschaft ihren Triumph in vollen Zügen. Die Partynacht eröffneten Kwarazchelia und Co. rund 3500 Kilometer entfernt von den feiernden Massen in der Heimat schon in der Gelsenkirchener Arena. „Wir starten die Arbeit morgen. Jetzt müssen wir feiern und uns ausruhen“, forderte Zitaischwili – dann verschwanden er und seine Mitspieler singend und tanzend in den Mannschaftsbus.
SID