„Trösten kannste vergessen“

von Redaktion

Experte Helmer über Eigentore und das verlorene Finale 1992

Danish Dynamite: 1992 war das kleine Land zurecht Europameister, findet Helmer. © Imago

Von Manchester-United-Stürmer Hojlund haben die Dänen mehr erwartet. © IMAGO

Schwer zu packen: Gegen Flemming Povlsenund Co. hatte die DFB-Elf um Helmer 1992 einen schweren Stand. © Imago

Dänemark kennt Helmer: Beim 0:2 im EM-Finale 1992 durch Kim Vilfort war er mittendrin statt nur dabei. © IMAGO

München – Wer gleich für zwei brennende EM-Themen Experte Nummer eins ist, muss gefragt werden – und Thomas Helmer erzählt gerne. Über das EM-Finale 1992 gegen Dänemark und die Kuriosität der Eigentor-Flut. Sieben sind in der Vorrunde gefallen, der „Rekord“ von 2016 (elf Stück) wackelt. Helmer steht auf Platz sechs der ewigen Eigentorliste der Bundesliga und weiß, wie die Betroffenen sich fühlen.

Herr Helmer, denkt man als Spieler nach einem Los wie Deutschland – Dänemark auch an alte Zeiten, oder ist das so ein Reflex der Öffentlichkeit?

Eher Zweiteres. Für mich hat aber auch das eine mit dem anderen nicht viel zu tun, weil die dänische Mannschaft, gegen die ich 1992 gespielt habe, sicherlich besser war als die jetzige. Das ist einfach zu lange her, um noch einen Revanchegedanken zu haben.

Trotzdem müssen wir zusammen zurückblicken. Andreas Brehme sagt über die Partie, er werde sie „nie vergessen“. Wie ist es bei Ihnen?

Ich erinnere mich, dass wir viele Chancen hatten, aber keinen reingemacht haben. Und ich erinnere mich auch daran, dass die Dänen keine schlechte Mannschaft hatten. Weil sie für Jugoslawien erst kurz vor Turnierstart nachgerückt sind, wurden sie immer als „Urlaubstruppe“ bezeichnet. Aber das stimmt ja nicht. Die Laudrup-Brüder, Schmeichel im Tor – da waren viele richtig gute Spieler dabei. Ich weiß aber, was Andy meint.

Was?

Er kreidet sich das erste Gegentor an, das über seine Seite fiel. Für mich ist aber eher hängen geblieben, dass das ganze Turnier nicht schön war. Da passte das verlorene Finale irgendwie – so blöd es war. Ich sage immer aus Spaß: Lieber ein Halbfinale verlieren. Und ich kann auch mit der Aussage „Wir wollen ins Finale kommen“ nichts anfangen. Ja, was will ich denn im Finale? Gewinnen will ich!

In solchen Momenten können aber auch Geister für etwas Großes entstehen.

Absolut. Wobei ich 1992 nicht mit 1996 zusammenfassen will. Das war wieder ein ganz anderes Turnier in England. Mehrere gute Mannschaften, super Stimmung, jeder durfte spielen und kam zum Einsatz. Da lief es von Beginn an, anders als in Schweden. Da waren wir das ganze Turnier über nicht gut. Das beste Spiel haben wir gegen Schweden im Halbfinale gezeigt. Dänemark war am Ende verdient Europameister.

Die dänische Mannschaft hatte damals nichts zu verlieren. Ist das heute nicht ähnlich?

Natürlich können die am Samstag auch unbekümmert aufspielen, aber bisher tun sie es nicht. Drei Mal Unentschieden, das war noch gar nichts. Sie müssen eher aufpassen, dass sie nicht zu deutlich verlieren. Ich habe keine Angst vor dem Achtelfinale. Dänemark ist ein guter Gegner für uns und ich glaube, dass wir mit zwei, drei Toren gewinnen.

Kann das aggressive Pressing, das ab und an aufblitzte, der DFB-Elf nicht wehtun?

Wenn es besser gelingt als in den vergangenen Spielen, ist das ein Mittel. Wir tun uns schwer damit, das hat man gegen die Schweiz gesehen. Aber trotzdem haben wir Lösungen gefunden. Das deutsche Spiel ist relativ variabel – und die DFB-Elf hat gegen die Schweiz ja auch ruhig weitergespielt.

Vorne haben die Dänen einen Stürmer, dem eine große EM prophezeit wurde, der aber noch nicht einmal getroffen hat. Kann Rasmus Højlund die deutsche Defensive vor Probleme stellen?

Schauen Sie sich doch mal die Franzosen an: Die haben noch kein Tor aus dem Spiel erzielt. Von den Engländern brauchen wir gar nicht reden. Aber ich würde nun, wo die K.o.-Phase losgeht, nicht mehr viel geben auf das, was davor war. Hojlund hat die Fähigkeiten. Der braucht mal ein Ding – und dann platzt der berühmte Knoten. Man sollte ihn also im Auge behalten.

Apropos: Aktuell treffen weniger die Stürmer, sondern vielmehr „Mister Own Goal“. Sieben Eigentore sind es bisher.

Bei der letzten EM waren es elf Eigentore, das könnte man diesmal ja sogar toppen. Das ist echt auffallend – zumal einige so glasklar waren. Und auch einige kuriose waren dabei.

Ist das Zufall oder System?

Durch die heutige Spielweise ist das Risiko halt größer. Es freut mich, dass bei der EM so viel abgeschlossen wird, dass es im Strafraum oft sehr schnell geht. Aber so geht es eben auch schnell, dass ein Ball abgefälscht oder abgelenkt wird. Das Tempo und die Schussgeschwindigkeit sind irre hoch. Viel Zeit zum Reagieren hat man als Abwehrspieler oft nicht mehr. Das türkische Eigentor nehme ich jetzt mal raus. Das ist einfach der Super-GAU.

Sie sind quasi Experte. In der ewigen Eigentor-Statistik der Bundesliga stehen Sie auf dem geteilten sechsten Platz – mit vier Eigentoren.

Ich weiß, dass ich da ganz weit vorne mit dabei bin (lacht).

Hat man die vier Dinger noch im Kopf – oder verdrängt man sie lieber schnell?

Zwei habe ich noch im Kopf. Ein dämliches beim 0:4 mit Dortmund gegen Köln. Der Ball geht erst an den linken Pfosten, dann an den rechten, dann stehe ich da so blöd und kriege ihn an den Fuß. Und eins in Stuttgart war auch saublöd: Eine Ecke, an der alle vor mir vorbeispringen, der Ball mir aber auf den Kopf fällt – nur dummerweise schaue ich in dem Moment in die Richtung des Tores. Was ein Einschlag! Oben, unhaltbar.

Was geht einem in so einem Moment durch den Kopf? Möchte man im Erdboden versinken?

Genau das. Es ging um die Meisterschaft damals noch. Ich habe dann sogar noch den Ausgleich gemacht, nachher noch an die Latte geköpft. In dem Spiel habe ich wirklich alles erlebt. Trotzdem haben wir 2:4 verloren.

Wie gelingt ein „Weitermachen“ – wer baut am besten auf?

Nur ein Erfolgserlebnis. Auch wenn alle sagen, dass es nicht so schlimm ist: Das Trösten kannst du vergessen. Ein Eigentor ist einfach Mist!

Ist es schlimmer als Elfmeter verschießen?

Das kann ich nicht sagen – ich durfte nie schießen (lacht).

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