Übergabe: Gegen Dänemark wird Nico Schlotterbeck (l.) den gesperrten Jonathan Tah ersetzen. © dpa/Christian Charisius
Herzogenaurach – Am Oberschenkel von Antonio Rüdiger wird noch gearbeitet, der Verteidiger von Real Madrid genießt in der DFB-Abteilung Physiotherapie Vorrangstatus. Rüdiger ist der Anker der Defensive, Bundestrainer Julian Nagelsmann hätte ihn am Samstag (21 Uhr) im Achtelfinale gegen Dänemark gerne zur Verfügung. Denn dann könnte er den durch die Gelb-Sperre für Jonathan Tah erforderlichen Umbau auf eine Stelle beschränken. Wenn hingegen Antonio Rüdiger nicht spielbereit wird, muss Nagelsmann ausgerechnet in einem K.o.-Spiel ein Tandem aufbieten, das es voraussichtlich erst nächste Saison bei Borussia Dortmund geben wird, das sich bisher aber fremd ist. Nico Schlotterbeck vom BVB ist der Tah-Ersatz, Waldemar Anton vom VfB Stuttgart und gerade auf dem Sprung zu Borussia Dortmund, würde Rüdiger vertreten müssen.
Rüdiger und Tah – das war eine stimmige Besetzung, gefunden nach Jahren des Experimentierens in der Zentrale der Abwehr. Eine deutsche Problemposition, obwohl es – anders als bei den klassischen Mittelstürmern – eine reichhaltige Auswahl gibt. Im EM-Kader stehen inklusive des Frankfurters Robin Koch fünf Innenverteidiger, und noch etliche weitere haben in den vergangenen zwei Jahren oder über eine lange Strecke davor zur Nationalmannschaft gehört: Mats Hummels, Niklas Süle, Malick Thiaw, Armel Bella-Kotchap, Matthias Ginter, Thilo Kehrer.
„Das spricht nicht für uns Innenverteidiger, wenn so viele getestet wurden. Denn das heißt, dass viele Konstellationen nicht funktioniert haben“, sagt Nico Schlotterbeck. Dass der 24-Jährige sich nun auf aktuell Platz drei in der Hierarchie vorschieben konnte, führt er in seiner direkten und ehrlichen Art darauf zurück, „dass mir mein linker Fuß entgegenkommt. Da hat man nicht ganz so viel Konkurrenz wie die anderen“.
Vor ein paar Monaten stand er viel weiter unten. Er hatte immer ein Image, schon zu seiner Zeit beim SC Freiburg: Er war ein kreativer Innenverteidiger, beseelt von Abenteuerlust im Spiel nach vorne, aber eben auch ein Bruder Leichtfuß. Der negative Part des Bildes, das man von Nico Schlotterbeck hat, verfestigte sich: Ihn begleitet die Szene aus dem WM-Spiel von 2022 gegen den Japaner Asano, von dem er sich abkochen ließ. „Das ist eineinhalb Jahre her, mich beschäftigt es nicht mehr“, sagt er mit leiser Verzweiflung. Er bekam, vor allem seit seinem Wechsel aus Freiburg (“Da hat man keinen Druck“), zu spüren, wie kritisch man als Innenverteidiger bewertet wird: „Du machst drei gute Spiele, dann kommt ein kapitaler Bock – aber über das Schlechte wird geredet. Damit muss man umgehen können.“
Für die ersten drei Länderspiele unter dem neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann war er nicht nominiert worden. „Ja, da zweifelt man“, gibt er zu. „Jetzt bin ich der einzige Neue seit der Maßnahme im März.“ Nach den Siegen gegen Frankreich und die Niederlande hatte Nagelsmann seine Personalfindungsphase für abgeschlossen erklärt. Der Champions-League-Höhenflug des BVB bis ins Finale dürfte Nagelsmann veranlasst haben, offener fürs Dortmunder Element zu sein. Und wenn er schon Mats Hummels nicht berufen wollte…
In den Sozialen Medien verwendet Nico Schlotterbeck die Hashtags #ns15 und #mh15, er erinnert an seine Dortmunder Innenverteidigungskollegen Niklas Süle und Mats Hummels, „sie sind meine Freunde und haben in der Nationalmannschaft auch schon die Nummer 15 getragen“. Es ist auch die kleine Rebellion von einem, der gerne in die Offensive geht. GÜNTER KLEIN