Bleibt im Amt: Italien-Coach Spalletti. © AFP / F. COFFRINI
Ein Weltklassekeeper reicht nicht: Der tief enttäuschte Donnarumma nach dem EM-Aus im Berliner Stadion. © epa / DANIEL DAL ZENNARO
Berlin – Gedemütigt und tief enttäuscht schlichen die italienischen Spieler zu ihren Fans. Sie baten um Entschuldigung für den Gruselauftritt im EM-Achtelfinale. Doch statt Zuspruch erhielten sie nach dem 0:2 gegen die Schweiz Pfiffe und Beleidigungen.
Drei Jahre nach dem EM-Triumph von Wembley ist Italiens Fußball wieder am Tiefpunkt angelangt. „Es tut extrem weh. Wir müssen uns bei allen entschuldigen“, sagte Kapitän Gianluigi Donnarumma, der sich als einer der wenigen den drängenden Fragen stellte. Schneller als erwartet klar: Trainer Luciano Spalletti (65), der beim mutlosen Auftritt seines Teams rat- und hilflos wirkte, bleibt im Amt. Das bestätigte Verbandschef Gabriele Gravina auf einer Pressekonferenz am Sonntag im Teamcamp in Iserlohn. „Ich bin pragmatisch. Es ist unmöglich, Probleme zu lösen, indem man ein langfristiges Projekt aufgibt oder den Trainer und die Spieler im Stich lässt, die uns bei diesem Projekt begleitet haben“, sagte Gravina; man übernehme gemeinsam die Verantwortung.
„Ich will keine Entschuldigungen finden“, sagte Spalletti und verwies doch darauf, dass er nach dem viel kritisierten Abgang von Europameister-Coach Roberto Mancini nur wenig Zeit zur Vorbereitung mit der Mannschaft gehabt habe. „Wir hatten einige verletzte Spieler, auf die ich gezählt hatte.“ Auch Donnarumma versicherte, der Trainer werde „die richtigen Lösungen“ finden. Doch das Urteil der italienischen Öffentlichkeit über Spalletti fiel weitaus weniger nachsichtig aus. „Was für Fehler, Luciano“, titelte die Gazzetta dello Sport. „Er hat viele falsche Entscheidungen getroffen und die Vorbereitung verpatzt.“
Auch Verbandsboss Gravina steht in der Kritik und dürfte hinterfragt werden, Fußball-Größen wie Ex-Manager Luciano Moggi forderten bereits seinen Rücktritt. War die wundersame Reise zum EM-Titel 2021 nur ein Ausrutscher? Bilden die verpassten WM-Turniere 2018 und 2022 eher die italienische Fußball-Realität ab? Tuttosport nannte es ein „nationales Scheitern“, der Corriere dello Sport „eine Schande“. Die Gazzetta dello Sport schrieb: „Was für eine Blamage!“
Donnarumma, der als einziger Italiener konstant Weltklasse-Niveau bot, blickte noch in der Nacht des Frusts nach vorn. „Wir müssen schnell Lösungen finden, wir haben nicht viel Zeit“, sagte der 25-Jährige und verwies auf die Spiele in der Nations League gegen Frankreich und Israel im September. Der Torhüter von Paris Saint-Germain urteilte: „Die Qualität ist da, daran müssen wir anknüpfen.“
Doch nach dieser verpatzten EM gibt es genau daran massive Zweifel. Nur wenig macht der stolzen Fußball-Nation derzeit Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Neben Donnarumma überzeugte nur Abwehrspieler Riccardo Calafiori (22), der gegen die Schweiz gesperrt fehlte. Probleme hat der viermalige Weltmeister vor allem im Sturm, wo sowohl Gianluca Scamacca als auch Mateo Retegui komplett enttäuschten. Rechtsverteidiger Giovanni Di Lorenzo spielte ein katastrophales Turnier, im Mittelfeldzentrum erwies sich Jorginho als zu langsam und zu behäbig.
Doch auch als Spalletti vor dem Achtelfinale reagierte und für Jorginho den 23 Jahre alte Nicolò Fagioli aufbot, wurde es für Italien eher schlechter als besser. „Er und Calafiori haben gespielt, weil sie Qualität haben. Klar machen sie Fehler“, verteidigte Spalletti seine Entscheidungen. „Wenn die Jungen das Potenzial zeigen, um die anderen auszustechen, bin ich der Erste, der ihnen den Raum dafür gibt.“ Genau darauf wird Italiens Fußball in Zukunft hoffen müssen: Junge und hungrige Spieler, die das Team zurück in die Weltspitze bringen.
DPA