Enger Austausch: Leroy Sane und Julian Nagelsmann. © afp
Beide bleiben gesetzt: Kai Havertz im Sturmzentrum und Abwehrchef Antonio Rüdiger. © Thissen/dpa
Starker Auftritt beim ersten EM-Startelfeinsatz: Der Dortmunder Nico Schlotterbeck. © IMAGO
Dortmund – Fußball, der Mannschaftssport, ist immer auch Individualsport – zumindest für die Öffentlichkeit, die mit Hingabe die Besetzung einzelner Positionen in einer Startelf diskutiert. Julian Nagelsmann sagt, er lasse sich davon nicht beeinflussen: „Ich lese dazu nicht viel, ich habe genügend Arbeit.“ Er verlässt sich auf die internen Sichtweisen aus seinem Mitarbeiterstab – und das führte zu Überraschungen, zu ersten Eingriffen in der vierten EM-Partie. Weil man gegen Dänemark sehr verdient mit 2:0 gewann, waren die personellen Entscheidungen keine falschen – was die Debatten, auf wen der Bundestrainer setzen soll, weiter befeuert. Er sagt dazu: „Es sind Luxusprobleme.“
Er hat nun eines in der Innenverteidigung. Das Duo Antonio Rüdiger/Jonathan Tah war gesetzt, wurde aber durch die Gelb-Sperre für den Leverkusener auseinandergerissen. Es übernahm Nico Schlotterbeck – und der Dortmunder spielte in seinem Stadion so formidabel, dass man ihn eigentlich nicht mehr herausnehmen darf. Torwart Manuel Neuer sagt: „Zum MVP wurde Antonio Rüdiger gewählt, aber für mich war das Schlotti.“ Proaktiv würde man im Geschäftsleben das engagierte Auftreten von Schlotterbeck nennen, der bereit war, alles zu erledigen. Sogar das Tore-Erzielen. Er köpfte in der 4. Minute zur Führung ein, die Schiedsrichter Michael Oliver nach VAR-Eingriff aus dem Spielberichtsbogen strich. „Schlotti war super, wenn er bei hundert Prozent ist, gibt es kaum einen Stürmer, den er nicht verteidigt“, lobte BVB-Kollege Niclas Füllkrug. Allerdings gab es auch einen von Schlotterbecks berüchtigten Blackouts im Überschwang, als er kurz vor Halbzeit sich bei einem Dribbling „in der eigenen Box“( Nagelsmann) verlor. „Ich bin gottfroh, dass wir zu null gespielt haben“, sagte Schlotterbeck. „Jonathan Tah hat auch alle Spiele herausragend gut gestaltet“, erinnerte Nagelsmann jedoch an die bestehende Hierarchie und an die Rollenfestlegung, die vor dem Turnier erfolgt war. Im Grunde gilt sie noch.
Nicht von den Umständen einer Sperre erzwungen, sondern aus freien Stücken erfolgten die anderen beiden Umbesetzungen. Florian Wirtz musste seinen Platz Leroy Sané überlassen, auf der linken Seite spielte David Raum anstelle von Maximilian Mittelstädt. Dass Sané drankam, war eine Typentscheidung („Er hat eine gute Tiefe im Spiel und Tempo“) und Belohnung „für eine gute Trainingswoche“, so Nagelsmann. Sané legte furios los mit Einleitung einer ersten Chance nach neun Sekunden, danach aber führten manche seiner Dribblings ins Nirwana. Der Münchner agierte sehr positionsgetreu, besprach sich öfter mit dem Bundestrainer an der Seitenlinie, versiebte noch eine Chance – es wäre sein erstes Tor bei seinem vierten Turnier gewesen. Den besseren Eindruck hinterließ Florian Wirtz, der dann noch die letzten Minuten ins Spiel kam – und davon profitierte, dass die Dänen in ihrem Drängen Räume preisgaben. Nagelsmann denkt daran, „dass wir bei unseren Zehnern eine kleine Rotation machen“, er will es „auch davon abhängig machen, gegen wen wir spielen“.
David Raum hatte bereits beim 1:1 gegen die Schweiz Mittelstädt abgelöst, mit der Vorbereitung des Ausgleichstreffers war er effektiv. Er blieb in der Mannschaft und sagte: „Ich habe mich riesig gefreut und wollte alles reinschmeißen und es dem Trainer zurückzahlen.“
Gefestigt hat Kai Havertz seine Position gegenüber Niclas Füllkrug. Zwar vergab der eine wie der eingewechselte andere eine große Chance, aber Havertz ist der Top-Elfmeterschütze. „Außergewöhnlich, mutig, eiskalt“, lobt Manuel Neuer. GÜNTER KLEIN