Das Desaster im Corona-Jahr 2020: Jogi Löw und Assistent Marcus Sorg beim 0:6 in Sevilla. © Imago
Das letzte Aufeinandertreffen: 2022 in Katar sorgte Niclas Füllkrug für den 1:1.-Endstand. Jamal Musiala hate die Vorbereitung geleistet, aber nicht vollenden dürfen. © dpa/Federico Gambarini
Herzogenaurach – An Katar hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft doch noch eine gute Erinnerung. Am zweiten Spieltag der Weltmeisterschaft 2022 schwang sie sich gegen Spanien zu Momenten alter Größe auf. Zwar geriet sie im Wüstenstadion Al-Bayt in Rückstand, doch sie zeigte ihre legendäre Turnierresilienz. In der Schlussoffensive dribbelte Jamal Musiala aufs spanische Tor zu, Niclas Füllkrug klaute ihm den Ball vom Fuß und haute ihn umstandslos ein. Nach der vorangegangenen 1:2-Niederlage war Deutschland noch nicht ausgeschieden, hatte noch eine realistische Achtelfinalchance. Jedoch: Auch Spanien patzte gegen Japan, und so nutzte den Deutschen ihr Sieg gegen Costa Rica nichts mehr. Aber das 1:1 im Spitzenspiel der Gruppe bestätigte sie in ihrer Selbstwahrnehmung: nicht weit weg von der Weltklasse, gescheitert an anderen Faktoren wie der Überfrachtung der Spieler mit politischer Verantwortung. Die kommenden Monate zeigten: Es fehlte schon auch an fußballerischer Klasse.
Aufgrund dieser unmittelbaren WM-Vorgeschichte ist es hochinteressant, wenn im EM-Viertelfinale am Freitag (18 Uhr) Deutschland wieder auf Spanien trifft. Man kann die Entwicklung auf beiden Seiten seitdem abgleichen – und gerade, wie man im Wettbewerb mit den Südeuropäern steht, das beschäftigt den DFB seit 16 Jahren. Nach dem Antrieb durch die WM 2006 hatte der neue Bundestrainer Joachim Löw begonnen, sich der deutschen Spielkultur anzunehmen, ihr andere Facetten zu geben als die klassischen Tugenden – Vorbild war Spanien.
Im EM-Finale 2008 in Wien konnte Löw sehen, wie weit man entfernt war. In Erinnerung blieb, wie Fernando Torres Philipp Lahm abkochte – das 1:0, der Sieg, der Titel für Spanien. Nächster deutscher Dämpfer im Halbfinale der WM 2010. Erneute 0:1-Niederlage, Kopfball Carles Puyol. Thomas Müller, der Shooting-Star der WM, fehlte wegen einer Gelb-Sperre, Toni Kroos wurde eingewechselt. Im Tor: Manuel Neuer. Auf deutscher Seite ist heute also noch ein Rest von damals vertreten. Bei Espana hat der Generationswechsel längst stattgefunden, die Stars, die in Südafrika Weltmeister wurden, sind inzwischen Trainer, Unternehmer oder Celebrities.
Das 0:6 von Sevilla leitete das Ende von Joachim Löw als Bundestrainer ein
Jogi Löw arbeitete weiter daran, wie die Spanier unter dem von ihm hochgeschätzten Trainer Vicente del Bosque zu sein. Das EM-Finale 2012 in Kiew hatte er für die Wachablösung im Sinn. Das Halbfinale gegen Italien kam dazwischen, Löw vercoachte sich komplett. Spanien schlug im Endspiel den DFB-Bezwinger Italien mit 4:0. Damit endete aber der iberische Zyklus von drei Titeln. Deutschland zog in der Welthierarchie an Tiki-Taka-Land vorbei, ohne sich mit den Ex-Champs zu duellieren. Es ergab sich in den Turnieren nicht.
In den Jahren nach 2012 gab es einige wenige Freundschaftsspiele, 2020 führte das Format Nations League die alten Kontrahenten zusammen. Das Corona-Virus bestimmte diese Zeit, gespielt wurde in leeren Stadien. Erste Partie in Stuttgart: ein 1:1, Spanien glich in der Nachspielzeit aus. Rückspiel in Sevilla, 0:3 zur Halbzeit, 0:6 am Ende, die deutsche Mannschaft mit immerhin Neuer, Ilkay Gündogan, Toni Kroos, Leroy Sané und dem eingewechselten Jonthan Tah brach komplett auseinander. Der Druck auf Joachim Löw, den Vertrag, der bis 2022 lief, nicht auszusitzen, wuchs – und auch wenn die Entscheidungsfindung, mit der EM 2021 aufzuhören, trotz einer umgehend einberufenen Krisensitzung mit dem DFB-Präsidium noch einige Wochen in Anspruch nahm: Letztlich war Löw an Spanien gescheitert. Nun final. GÜNTER KLEIN