Marica machte für Rumänien 72 Länderspiele und ist heute EM-Botschafter. © IMAGO/Cristian Cristel
Er gab den Ton an: Ianis Hagi stimmte mit dem Megafon die Gesänge an, die Fans auf den Rängen feierten mit. © DPA/Dedert
Nicht die Slowakei, nicht die Ukraine – und auch nicht die Belgier. In der ausgeglichenen Gruppe E stürmte Rumänien mit vier Punkten als Gruppenerster ins Achtelfinale. In ihrem ersten EM-K.o.-Spiel seit 2000 wollen die Osteuropäer heute in München gegen die Niederlande für die nächste Überraschung sorgen. Ciprian Marica, ehemaliger Bundesligaprofi (u.a. Stuttgart und Schalke) und heute gemeinsam mit den Legenden Gehorge Hagi und Rivaldo Besitzer des rumänischen Klubs Farul Constanta, ordnet im Interview mit unserer Zeitung den Erfolg ein.
Herr Marica, Rumänien ist als Gruppenerster ins Achtelfinale eingezogen. Das konnte man so vorher nicht erwarten, oder?
Wir wussten schon, dass wir eine gute Generation haben. Der Kern der Mannschaft drang 2019 bei der U21-Europameisterschaft bis ins Halbfinale vor. Aber mit diesem Erfolg konnte man nicht rechnen.
Wie groß ist die Euphorie in Rumänien?
Ich habe in den vergangenen Tagen mit vielen älteren Menschen gesprochen. So groß wie jetzt war die Euphorie noch nie – nicht mal 1994, als die goldene Generation um Gheorghe Hagi bei der WM bis ins Viertelfinale kam. Wir lieben Fußball – und mussten echt lange auf so einen Erfolg warten.
Was bedeutet der sportliche Erfolg der Mannschaft für das Land?
Wir Rumänen können nicht oft stolz auf etwas sein. Dafür bleibt uns eigentlich nur der Sport. Und so richtig erfolgreich waren da zuletzt auch nur zwei Sportler: David Popovici (Schwimmer) und Simona Halep (Tennisspielerin). Jetzt sehen wir endlich wieder Licht!
Für Rumänien ist es die erste EM-Teilnahme seit 2016 und nach 2000 überhaupt erst das zweite EM-K.o.-Spiel überhaupt. Was sind die Hauptgründe für den Aufschwung?
Man muss leider sagen, dass wir ein paar Generationen an guten Fußballern verloren haben. Das ist echt bitter. Bis vor zehn Jahren war es für die Clubs keine Pflicht, eine Nachwuchsakademie zu betreiben. Das ist jetzt der Fall. Die aktuelle Mannschaft ist das Ergebnis dieser Nachwuchsförderung.
Und Sie tragen mit Ihrem Club Farul Constanta dazu bei …
Ja, ich bin zusammen mit Gehorge Hagi und Rivaldo Inhaber des Clubs. Hagi ist außerdem unser Trainer. Im vorletzten Jahr sind wir Meister geworden, aktuell bauen wir ein neues Stadion. Wir haben die größe Akademie im rumänischen Fußball und über 20 Millionen Euro in den Nachwuchs investiert.
Muss man sich an Rumänien bei EM- und WM-Endrunden nun gewöhnen?
Das hoffe und wünsche ich. Wir müssen das Niveau jetzt halten, das wird nicht einfach. Ich habe aber das Gefühl, dass jetzt mehr und mehr in den Sport investiert wird. Talente hatten wir in Rumänien schon immer. Sie müssen aber auch gefördert werden.
Im Achtelfinale geht es nun gegen die Niederlande. Wie hoch stehen die Chancen aufs Weiterkommen?
Die Niederländer sind natürlich der Favorit. Ich schätze unsere Chancen auf 40:60 ein. Sie haben individuell eine brutale Qualität – wir funktionieren aber als Mannschaft besser. Ich tippe auf ein 1:1 nach 90 Minuten.
Welcher rumänische Spieler begeistert Sie am meisten?
Stürmer Denis Dragus. Er ist technisch sehr gut und sehr schnell, gleichzeitig aber noch jung. Bei ihm sehe ich wirklich die Qualität, dass er auch mal in Deutschland spielen kann.
Und hinten muss Abwehrchef Radu Dragusin den Laden dicht halten?
Ja, aber er will manchmal etwas zu viel. Er muss sich auf das wesentliche konzentrieren, also Zweikämpfe gewinnen.
Welche Marschroute empfehlen Sie der Mannschaft?
Wir müssen hinten kompakt stehen. Das war auch schon bei der WM 1994 unsere Stärke. Mit Kontern über unsere schnellen Spieler wie Man und Mihaila können wir den Niederländern wehtun.
Für den VfB Stuttgart und Schalke 04 haben Sie in der Champions League gespielt. Wie haben Sie sich früher auf große Spiele vorbereitet – und welche Tipps haben Sie für die heutige Generation parat?
Wenn du jung bist, brauchst du manchmal einfach nur Vertrauen. Sie müssen an ihre eigene Stärke glauben – und daran, dass sie eine Überraschung schaffen können.
Wie verfolgen Sie Ihre deutschen Ex-Clubs Stuttgart und Schalke?
Was auf Schalke passiert, ist einfach nur bitter. Umso mehr freue ich mich über die Vizemeisterschaft vom VfB. Der deutsche Botschafter in Rumänien ist ein großer VfB-Fan. Wir schauen die Spiele manchmal gemeinsam. In Stuttgart bricht jetzt eine neue Zeit heran. Das Stadion wurde ausgebaut und die Mannschaft hat viel Potenzial. Die Arbeit in der Akademie war schon immer überragend. Die Infrastruktur, die Fans – es ist alles da. Ich hoffe, dass der VfB da oben bleibt und Schalke es schafft, wieder in die 1. Liga aufzusteigen.
INTERVIEW: JOHANNES OHR