ZUM TAGE

Ein Mann für alle – so oder so

von Redaktion

Die Tränen von Ronaldo

Tränen bei Männern, egal ob aus Trauer oder Freude, das ist ja so eine Sache. Die einen finden es menschlich, authentisch, nahbar; die anderen, nun ja, eher das Gegenteil davon. Kullern sie dann auch noch über die Wangen von Cristiano Ronaldo, ist klar, was passiert. Diejenigen, die diesen zweifellos polarisierenden Mann schon immer mochten, feiern ihn. Und alle anderen stempeln all das, was sich in der Nacht zum Dienstag in Frankfurt ereignet hat, als Teil einer großen Show ab.

So geschehen also gestern, am Tag nachdem Portugal dank – oder trotz? – Ronaldo ins Viertelfinale der EURO eingezogen ist. Der Protagonist fasste die Sachlage mit dem Satz „Selbst die Stärksten haben ihre schwachen Tage“ zusammen und hätte mit wenigen Worten nicht mehr ausdrücken können. Da steht ein 39 Jahre alter und aalglatter Profi auf dem Platz, der sich nach wie vor für größer als ein ganzes Land erachtet – will man ihm seine Aussagen nach Schlusspfiff negativ auslegen, kann man das problemlos. Aber muss man das wirklich? Will man das?

Die Fragen, die den europäischen Fußball nun seit mehr als 20 Jahren begleiten, werden auch bei Ronaldos letztem Tanz auf diesem Parkett nicht eindeutig zu beantworten sein. Warum also nicht bei den Fakten bleiben, die diesen Sport ebenso seit zwei Jahrzehnten prägen? Ronaldo, fünfmaliger Weltfußballer, spielt seine sechste EM, ist Rekordspieler (nun 29 Einsätze) und Rekordtorschütze (14 Tore) dieses Turniers. Und gab es um ihn herum auch immer wieder andere, bessere Geschichten, ist er seit 2004 ein verlässlicher Dauerbrenner. Wirft man das Wort „Ronaldo“ in den Raum, ist Stoff für alle da. Für Streitgespräche über Auftritt und Wirken in der älteren Generation – oder aber für den unvermeidlichen „Siu“-Jubel der Jungspunde unter den EM-Schauern. Eltern verdrehen an dieser Stelle die Augen.

Ronaldo bietet alles – und das tut er verlässlich. Man kann ihn als Gockel bezeichnen, wenn man sein Äußeres betrachtet, oder aber als absolutes Vorbild. Man kann ihn als Teamplayer sehen, wenn er sich in der Nachspielzeit den Ball zum Elfmeter schnappt – oder als Egoisten. Man kann ihn selbstverliebt nennen, wenn er trotz Fehlschuss als erster Schütze im Elfmeterschießen antritt – oder aber verantwortungsbewusst. Und genauso ist es halt mit den Tränen. Sicher ist: Ist Ronaldo nicht mehr da, werden wir ihn vermissen. Und zwar alle. Manche weinen mehr, andere weniger. Hanna.Raif@ovb.net

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