TAGEBUCH

Im Zug spielt der kleine Fußball den großen nach

von Redaktion

Am Tag nach dem Achtelfinale in Dortmund fuhr ich mit dem Zug zurück in den Süden. Der Warnung des DB-Navigators vor „hoher Auslastung“ folgend, hatte ich einen Platz reserviert. Das Gute: Er war mit einem richtigen Tisch. Nützlich, weil ich meine Texte für die Montagszeitung schreiben musste. Nicht so gut: Ich saß inmitten einer bayerischen Fußballmannschaft, die sich Deutschland – Dänemark angesehen hatte und noch mit der Aufarbeitung des Abends beschäftigt war („Kai Havertz schlechtester deutscher Spieler“). Ich tat, als interessierte mich das null Komma null und hackte auf meinen Computer ein. Dabei hoffend, dass meinem Nebenmann vom hell erleuchteten Bildschirm nicht irgendwelche Fußball-Reizwörter ins Auge springen und man mir ein Gespräch aufdrängt. Denn ich habe einen Redaktionsschluss.

Allerdings war es dann doch ganz interessant, mit einem Ohr dem ICE-Doppelpass ab 10.11 Uhr ab Essen zu folgen. Weil sich zeigte, wie das große EM-Ereignis den Fußball im Kleinen beeinflusst. Die Mannschaft aus einem Club, zwischen München und Augsburg gelegen, war eine Reserve – mit einer Ausnahme: der Anführer, 35 Jahre alt. „Ich spiele noch in der Ersten, Bezirksliga“, erklärte er einem interessierten Mitreisenden, „und ich bin der Abteilungsleiter, also der Fußballchef.“ Es laufe bereits die Vorbereitung auf die neue Saison – aber ohne ihn, denn: „Ich habe jetzt EM.“ Er war 2014 auch in Brasilien bei der WM. Erlebte die Hitze in Fortaleza, die Überschwemmungen in Recife, die Kälte und Algerien in Porto Alegre. „Maracana fehlt mir leider noch.“ Er lehnte sich zurück mit seinen 35 Jahren. „Sonst reizt mich nichts mehr.“

Er war nun in seinem Element, griff zum Handy: „Ich mache jetzt vier Transfers für unsere Erste fix. Jugendspieler, Passumschreibung.“ Tipp, tipp, tipp. „Erledigt.“ Ganz lässig zwischen EM-Achtelfinale und der bald beginnenden „Verkaufsphase 3 fürs Viertelfinale“. Die Mannschaft ist zuversichtlich, dass sie am Freitag in Stuttgart sein wird. Beziehungen, Fußballfamilie, DFB…

Der Capo sprach noch über seinen Verein. Es ginge mehr als Bezirksliga, aber: „Passt so zu unseren wirtschaftlichen Strukturen.“ Die Sprache des großen Fußballs ist auch die des kleinen.

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