Jubeln ohne Tor – und andere Trends

von Redaktion

Wie ist das mit den scharfen Flanken bei dieser EM? Und warum sind erste Minuten so ereignisreich?

Tor geschossen? Nein, verhindert. Nico Schlotterbeck feiert sich. © dpa/Christian Charisius

Herzogenaurach – Antonio Rüdiger findet, dass im Fußball das Wirken der Stürmer manchmal zu grell ausgeleuchtet wird. Nicht dass er irgendeinem da vorne den Torerfolg und die daraus resultierenden Überwältigungsgefühle und die große Bühne für einige Sekunden als Held im Fokus der Führungskamera missgönne – aber es gibt ja noch Leute wie ihn, die hinten Bälle und Gegner weggrätschen, sich in Schüsse werfen. „Es ist wichtig in dieser Phase von Turnieren, das zu null zu halten“, sagte der Innenverteidiger nach dem 2:0 gewonnenen Achtelfinale gegen Dänemark. Deshalb hätten er und seine für die Defensive zuständigen Kollegen ihre Aktionen gefeiert, ihr resolutes Einschreiten, die Klärung gefährlicher Situationen. Dass er und Nico Schlotterbeck einander begeistert anbrüllten und sogar der in sich ruhende Torwart Manuel Neuer sich an den Freudeneruptionen beteiligte, „das kam ganz natürlich“, versichert Rüdiger.

Doch man sieht es auch in anderen Mannschaften bei dieser EM. Die Arbeiter emanzipieren sich, sie wollen nicht nur dann im Bild eingefangen werden, wenn sie etwas verbockt haben. Die Verhinderung von etwas Negativem (Gegentreffer) soll gewürdigt werden wie das Positivste schlechthin, der eigene Torerfolg. Jubelszenen darum auch innerhalb der Abwehrketten. Sowie – aber das ist die unangenehme Seite des modernen Fußballs –, wenn auf Strafstoß für die eigene Mannschaft entschieden wird. Nach dem VAR-Urteil „Handspiel“ gegen Dänemark warf Jamal Musiala die Arme nach oben – als müsste Kollege Kai Havertz gar nicht mehr verwandeln.

Wie besagter Elfmeter zustande kam, umreißt einen zweiten Trend des Turniers: Die Flanken werden immer schärfer. Damit sie ein unbeabsichtigtes Handspiel des Gegners oder gar ein Eigentor provozieren? Ist das so? Nachgefragt bei Flankenspezialist David Raum. Er sagt: „Es ist nicht so, dass ich auf Arme ziele oder versuche, den Gegner abzuschießen.“ Erste Absicht sei, „den Fuß oder Schädel unseres Stürmers zu finden“. Mitspieler Joshua Kimmich: „David hat nicht mal gemerkt, dass er die Hand des Dänen getroffen hat.“ Trotzdem: Der harte Pass hinein ins Getümmel wird zur Option.

Und was auch noch auffällt, der Trend Nummer drei: die blitzartige Eröffnung des Spiels. Albanien und Georgien erzielten mit ersten Aktionen Tore, die Deutschen waren gegen Schottland durch Florian Wirtz und Dänemark in Gestalt von Leroy Sané nahe dran. Sané sprintete mit dem Anpfiff los und war nach neun Sekunden im gegnerischen Strafraum. Sané, der viel Fußball schaut während des Turniers, ist aufgefallen, „dass es relativ Mannschaften gibt, die etwas einstudieren, um direkt Akzente zu setzen“. Das sei die Zielsetzung: Dem Spiel eine Richtung geben, den Kontrahenten beeindrucken. Für die DFB-Elf denkt sich Standard-Trainer Mas Buttgereit etwas aus, die Spieler können Ideen einbringen.

Wenn die Blitzeröffnung nicht zum Tor führt (wie im März beim Test in Frankreich nach acht Sekunden durch Florian Wirtz) – kein Problem, es bleibt immer noch ein ganzes Spiel, um das nachzuholen. „Wir werden schauen, dass wir gegen Spanien was kreieren“, verspricht Leroy Sané. GÜNTER KLEIN

Artikel 1 von 11