Erst die Tränen: Ronaldo verschoss den Elfmeter in der Nachspielzeit und wirkte fast untröstlich. © IMAGO
… dann die Entschuldigung: Im Elfmeterschießen traf er vom Punkt. Eine gelungene Wiedergutmachung. © IMAGO
Gefeiert wurde ein anderer: Diogo Costa parierte drei Elfmeter – sogar CR7 gratulierte hinterher artig. © IMAGO
Frankfurt – Cristiano Ronaldo zeigte eine ungewohnte Geste. Nachdem der inzwischen 39-jährige Superstar als erster portugiesischer Schütze im Elfmeterschießen gegen Slowenien antrat, bejubelte er seinen Treffer nicht in gewohnter Manier. Stattdessen wandte er sich Richtung Kurve, faltete die Hände zusammen und: entschuldigte sich.
Schließlich hatte Ronaldo kurz zuvor etwas vollbracht, was für ihn noch ungewöhnlicher als dieser Anti-Jubel war. Der Stürmer verschoss in der 105. Minute einen Strafstoß gegen Sloweniens Keeper Jan Oblak, es war der erst 30. Fehlschuss von insgesamt 191 Elfern in seiner Karriere. Ronaldo hätte das zähe Achtelfinale beim Stand von 0:0 entscheiden können, stattdessen verpatzte er die Chance und brach schon in der Halbzeit der Verlängerung in Tränen aus.
„Natürlich war ich unglaublich traurig und hinterher überglücklich. Das ist Fußball. Man kann nicht erklären, was da passiert“, sagte er im Anschluss an das Elfmeterschießen, das Portugal dank seines überragenden Torwarts für sich entschied. „Glückwunsch auch an Diogo Costa, der drei Elfmeter gehalten hat.“
Zwar sprachen nach der Partie alle über den bewegenden Abend des Superstars, sportlich hat er zum Weiterkommen aber wenig beigetragen. Mit 34 Berührungen verbuchte er die wenigstens Ballkontakte aller Feldspieler, seine acht Torschüsse waren dagegen die meisten. Nur einen seiner insgesamt 60 (!) Freistöße bei großen Turnieren versenkte Ronaldo. Insgesamt schoss er bei der EM ganze 20 Mal aufs Tor, getroffen hat er jedoch kein einziges Mal. Aus dem ehemaligen Topstürmer ist ein Chancentod geworden, aus seinem gefürchteten Spitznamen wird CRver7.
Am ungewöhnlichsten aber ist, dass der egogetränkte Superstar seine altersbedingten Schwächen langsam selbst zu erkennen scheint: „Es ist ohne Zweifel meine letzte EM“, bestätigte er nach dem Elferdrama. Im Gegensatz zu früheren Ankündigen (und dem amerikanischen Präsidenten, aber das ist eine andere Geschichte) dürfte er bemerkt haben, mit zunehmenden Alter nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte zu stehen.
Jede Partie könnte nun also sein letzter EM-Auftritt sein – entsprechend kämpferisch zeigte sich Ronaldo vor dem anstehenden Viertelfinale gegen Frankreich am Freitag (21 Uhr/ZDF und MagentaTV). „Wir werden jetzt ein schwieriges Spiel gegen Frankreich haben, das einer der Favoriten auf den Titel ist“, analysierte der Angreifer. „Aber wir ziehen in den Krieg.“
In diesem Krieg wird es vermutlich weniger darauf ankommen, wie sehr sich Ronaldo ins Zeug hängt, sondern ob die portugiesische Offensive auch seine nicht gerade untalentierten Nebenmänner Rafael Leao und Bernardo Silva in Szene setzt. Auch Elferheld Diogo Costa dürfte eine entscheidende Rolle gegen Kylian Mbappe und Co. spielen, nach seinen drei gehaltenen Schüssen strotzt der Keeper vor Selbstbewusstsein. „Das was das beste Spiel meines Lebens“, sagte der „Man of the Match“ vom Montagabend. „Ich bin froh, dass ich der Mannschaft helfen konnte.“ Bereits in der regulären Spielzeit parierte er nach einem Aussetzer vom 41-jährigen Innenverteidiger Pepe gegen den Leipziger Angreifer Benjamin Sesko, auf ähnliche Heldentaten hoffen Portugals Fans auch gegen die Elf von Trainer Didier Dechamps. Die Schlagzeilen werden vermutlich trotzdem Ronaldo gehören. VINZENT TSCHIRPKE