Viel Wirbel, zu wenig Ertrag: Rangnick. © dpa
Letztes Spiel? Arnautovic (Nummer 7) überzeugte nicht und ließ seine Zukunft offen. © IMAGO
Leipzig – Wer als österreichische Reisegruppe in dieser verregneten Leipziger Nacht noch nach einem Platz für das letzte Bier fahndete, hat lange suchen müssen. Immerhin ein paar Dönerbuden in der Neustadt verkauften noch Flaschen gegen den Frust. Wer die hadernde rot-weiß-rote Gemeinschaft zu später Stunde auf der Eisenbahnstraße erlebte, bekam dieselbe Gefühlslage wie kurz zuvor vom Teamchef Ralf Rangnick aus der Arena am Sportforum übermittelt. Das Aus im EM-Achtelfinale gegen die Türkei (1:2) fühlte sich grotesk wie surreal an. „Es ist eine große Enttäuschung und Leere da. Ich kann es im Moment noch so gar nicht richtig glauben, dass wir morgen wieder nach Hause fahren“, gestand der Lehrmeister kurz vor Mitternacht.
Ausgerechnet in jenem Presseraum, in dem er oft genug als Projektleiter von RB Leipzig über den Fortschritt im Fußball räsonierte, sollte er den Rückschritt analysieren. Das gelang nur mittelprächtig. Letztlich war seine Auswahl nicht in der Lage, erstmals in der Geschichte ein EM-Viertelfinale mit spielerischen Mitteln zu erreichen. Denn kämpferisch hatten die Türken dank ihrer leidenschaftlichen Fans ein bisschen mehr zu bieten. So ganz wahrhaben wollte das Rangnick jedoch nicht. Außer zwei „nicht gut verteidigten Standardsituationen“ und der Abschlussschwäche könne er seinen Spielern nichts vorwerfen, sagte der 66-Jährige.
Das Kardinalproblem seines Kaders sind Qualitätsmängel ganz vorne und ganz hinten: Es fehlen ein Torjäger und ein Torwart von internationale Klasse. Der mit seinem Abschied aus der ÖFB-Auswahl kokettierende Kapitän Marko Arnautovic („Es kann sein, dass es das letzte Spiel für mich war“) hätte zwingend ausgewechselt gehört; und der nie wirklich sicher wirkende Keeper Patrick Pentz scheute sich, seinen Luftraum zu beherrschen. Es wäre keine schlechte Idee gewesen, bei den Ecken von Arda Güler mal entschlossen herauszulaufen; so traf Merih Demiral nach einer kuriosen Fehlerkette bereits nach 57 Sekunden eilig per Fuß und nach 59 Minuten entschlossen per Kopf.
Der Anfang vom Ende für die phasenweise ideenlos anrennende Rangnick-Elf. Der Schwabe tröstete sich damit, anders als viele arrivierte Nationen immerhin den Spaßfaktor bedient zu haben. „Es waren vier megaunterhaltsame Spiele. Dagegen gab es andere Spiele, die ich im Fernsehen gesehen habe, wo ich Mühe hatte, mich wach zu halten.“ Während Bundeskanzler Karl Nehammer sich für „die großartigen Leistungen“ in diesem Turnier bedankte, benannte der Nationaltrainer die Nations League im Herbst, vor allem aber die WM-Qualifikation im nächsten Frühjahr als lohnenswerte Ziele: „Wir sind im Uefa-Ranking im ersten Topf, das gab es Jahrzehnte nicht mehr.“ Gleichwohl hatte sich Rangnick speziell für die EM in Deutschland insgeheim mehr erhofft – die Mission kommt unvollendet rüber. Viele Anhänger hatten das Halbfinale für möglich gehalten, da doch die Niederlande bereits in der Gruppenphase in Berlin besiegt worden waren. Stattdessen war bereits am Mittwoch Kofferpacken im Schlosshotel Grunewald angesagt. Wieder nur Geh-Heim-Favorit. FRANK HELLMANN