Euphorische Oranje-Elf, effektive Briten

von Redaktion

Mit völlig konträren Ansätzen kämpfen die Niederlande und England um den Finaleinzug

Nach links, nach rechts – und ab nach Berlin? Der frühere Wout Weghorst gibt bei dieser EM den emotionalen Anführer im Angriff der Oranje-Elf. © IMAGO

Come on, England: Jude Bellingham blieb bisher blass bei dieser EURO, zumindest gemessen am enormen Leistungsvermögen des Real-Madrid-Stars. © Sampics / Stefan Matzke

Dortmund – Nach links, nach rechts – und ab nach Berlin? Die Niederlande und ihre feierwütige „Oranje Army“ träumen davon, in Deutschland Fußball-Geschichte zu wiederholen, doch die englischen Milliarden-Minimalisten wollen sich selbst endlich ihren zweiten Titel nach 1966 krallen. Wer es auch ins Endspiel am Sehnsuchtsort schafft: Der Halbfinal-Showdown zwischen Euphorie und Effizienz am Mittwoch (21.00 Uhr/ARD) wird Gänsehautstimmung bringen.

„Das sind keine normalen Fußballspiele. Das sind nationale Ereignisse“, sagte Englands Teammanager Gareth Southgate und sprach sehr offen über den riesigen Druck, der auf seiner Mannschaft im Allgemeinen und auf ihm selbst im Besonderen laste. Wenn das nicht immer ein Hochamt der spielerischen Extraklasse sei, sondern zäher Ergebnisfußball: „Sorry!“ Die Ironie war nicht zu überhören.

Wie anders ist die Stimmung doch in den Niederlanden! Naar links, naar rechts – der Super-Hit der Party-Band „Snollebollekes“ ist längst der inoffizielle EM-Song, zu Zehntausenden hüpfen die Fans fröhlich durch die Stadien und haben spätestens nach dem Viertelfinale (in Berlin!) gegen die Türkei auch die Mannschaft angesteckt. „Das sind Momente fürs Leben“, sagte Stürmer Wout Weghorst, „die pure Freude, Wahnsinn.“ Das Gefühl, etwas ganz Großes zu erreichen, „wächst und wächst. Es wird wirklich immer größer. Es ist möglich!“

Wie 1988: Da hatte Holland in Deutschland ebenfalls den EM-Titel gewonnen. Ronald Koeman war damals noch ein harter Hund auf dem Platz – und nach dem Halbfinale, auf dem Höhepunkt einer erbitterten deutsch-niederländischen Rivalität, wischte er sich in Hamburg mit dem Trikot von Olaf Thon symbolisch das Hinterteil ab. Ähnliches ist am Mittwoch nicht zu erwarten: Koeman ist ein gestandener Trainer von 61 Jahren, den die Niederlande „so schnell nicht mehr loswerden“, wie er zuletzt sagte. Kurs: WM 2026!

Die größte Kontroverse ist derzeit, wer im Sturm spielen soll. Memphis Depay, der Mann mit dem weißen Stirnband, schnell, gewandt, trickreich? Oder Weghorst, der perfekte Joker, groß, wühlend, langbeinig, kopfballstark? „Wenn man Europameister werden will, müssen die Spieler, die etwas Besonderes haben, in solchen Spielen wie gegen England dabei sein“, sagt Koeman, „für das Spiel nach der Halbzeitpause ist Weghorst natürlich ein viel besserer Stürmer als Depay.“ Das klang sehr eindeutig, der Trainer bestand allerdings im Nachgang darauf, alles offen gelassen zu haben.

Die Engländer bewegt neben der Tatsache, dass ihr Team ohne ein einziges überzeugendes Spiel ins Halbfinale vorgestoßen ist, vor allem ein Reizthema: die Ansetzung von Felix Zwayer. „Ein Schiri-Albtraum“, schrieb das Boulevardblatt The Sun: Jude Bellingham hatte noch als BVB-Profi derart auf die Verstrickung des Berliners in den Wettskandal um Robert Hoyzer hingewiesen, dass Zwayer beinahe seine Karriere beendet hätte.

Nun sehen die beiden sich wieder. In Dortmund – wo England zumindest vor einem anderen Monster unter dem Bett keine Angst mehr haben muss. Elfmeter schießen können sie jetzt augenscheinlich, alle fünf Schützen verwandelten im Viertelfinale gegen die Schweiz sicher. Torhüter Jordan Pickford wird sich zudem wohl wieder einen Spickzettel auf seine Trinkflasche kleben: Hat ja schon mal geklappt.

Schließlich wollen Southgate und seine Mannschaft, die 1,5 Milliarden Euro Marktwert versammelt, dass die Niederlande keineswegs wieder „von links nach rechts“ tanzen. Sie sollen vor allem eines: fliegen. Und zwar nach Haus‘.
SID

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