„Natürlich können wir Niederländer Elfmeter schießen!“

von Redaktion

Europameister Aron Winter über die Chancen der „Oranje Army“, den Titel 1988 und Katastrophen vom Punkt

Europameister 1988: Aron Winter. © IMAGO

Die Niederlande und ihre feierwütige „Oranje Army“ träumen davon, in Deutschland Fußball-Geschichte zu wiederholen. 1988 wurden die Holländer in München Europameister. Aron Winter (mit 84 Länderspiele ehemaliger Rekordnationalspieler) war damals als Spieler dabei. Klappt nun, 36 Jahre später, endlich der zweite Titelgewinn?

Herr Winter, angelehnt an den Party-Hit der Snollebekes: Wohin geht die Reise: Nach Hause – oder ins Finale?

In das Finale natürlich!

Warum?

Wenn du Europameister werden willst, brauchst du zwei Dinge. Man muss im Turnier wachsen, um eine Mannschaft zu werden. Und man muss versuchen, das Glück auf seine Seite zu ziehen. Beides ist bei uns der Fall. Im ersten Spiel gegen Polen haben wir mit Glück gewonnen. Gegen Frankreich war dann Mbappé nicht dabei. Und dann hatten wir auch noch Glück, dass wir als Gruppendritter in den vermeintlich leichteren Turnierbaum gerutscht sind.

England dagegen enttäuscht total.

Jeder hat viel mehr von England erwartet. Wenn man sieht, wie sie in der Gruppenphase kämpfen mussten, das hatte nichts mit den Leistungen zu tun, die sie in der EM-Quali abgerufen haben. Es wird wahrscheinlich kein hochklassiges Spiel, aber ich freue mich trotzdem darauf und denke, dass wir gewinnen werden.

Auch Ronald Koeman wurde für seine defensive Ausrichtung und langweilige Spielweise hart kritisiert – gibt ihm der Erfolg nun Recht?

Wissen Sie, Ronald hat es schon geschafft. Er war dabei, als wir 1988 Europameister wurden. Er ist ein guter Trainer und will auch attraktiven Fußball spielen. Aber am Ende hängt es auch vom Rhythmus der Spieler ab – und den haben einige unsere Schlüsselspieler bislang nicht gefunden.

Stürmer Wout Weghorst spricht offen vom Titel. Die richtige Einstellung?

Ja, natürlich. Und generell ist sein Anteil an unserem Erfolg immens. Wenn er reinkommt, verändert sich das Spiel.

Muss er gegen England von Beginn an spielen?

In den Niederlanden ist das gerade eine große Diskussion. Ich denke, der Trainer sollte jetzt nicht zu viel verändern. Jeder hat eben seine Qualitäten. Koeman vertraut in der Startelf auf Memphis Depay. Denn er ist ein Spieler, der im Bruchteil einer Sekunde ein Spiel entscheiden kann – auch wenn er vorher vielleicht nicht ganz so drin war.

Viele blicken schon auf ein mögliches Elfmeterschießen voraus. Die Engländer können das plötzlich. Die Niederlande dagegen hat drei der jüngsten vier Elfmeterschießen bei einer EM verloren…

Mit Elfmeterschießen haben wir keine sehr guten Erfahrungen, das stimmt (lacht). Da sind wir meistens rausgeflogen – und es war immer eine Katastrophe. Natürlich können wir Niederländer Elfmeter schießen. Aber im Elfmeterschießen selbst, fehlt uns noch eine gewisse Qualität. Bei der WM in Katar hat unsere Nationalmannschaft regelmäßig Elfmeter trainiert. Ich glaube, das tut sie jetzt auch. Aber ein Elfmeterschießen zu simulieren, ist sehr schwierig. Daher bin ich froh, dass wir die Qualität haben, das Spiel in 90 Minuten oder in der Verlängerung zu entscheiden.

1988 im Finale von München haben Sie nicht gespielt, waren aber Teil der Mannschaft. Welche Erinnerung haben Sie daran?

Als wir nach Deutschland fuhren, konnte ich schon unser Feuer spüren. In der Gruppenphase sind wir unglaublich zusammengewachsen. Am Ende zu gewinnen, das hat einem das Gefühl gegeben, unschlagbar zu sein. Die Feierlichkeiten zu Hause in Holland waren das Fantastischste und das Beste, was ich je in meiner Fußballkarriere erlebt habe, denn das ganze Land war so glücklich.

36 Jahre später kann sich der Kreis schließen…

Großartig! Es ist zwar nicht das gleiche Stadion, weil das Finale dieses Mal in Berlin stattfinden. Aber das Turnier zum zweiten Mal gewinnen zu können – gerne wieder in Deutschland – ist fantastisch.
INTERVIEW: JOHANNES OHR

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