Die EM als Strapaze: Xhaka (links) ging trotz Muskelfaserriss keinem Zweikampf aus dem Weg. © Imago (2)
Berlin – Normalerweise nimmt Granit Xhaka kein Blatt vor den Mund. Spricht offen über das, was ist – und nicht das, was sein soll. Gleichwohl hat der meisterliche Stratege in der für ihn am vergangenen Samstag beendeten EM ein kleines Geheimnis mit sich herumgetragen. „Ich glaube, wir können jetzt offen sprechen“, sagte der 31-Jährige am vergangenen Samstag in Düsseldorf, nachdem die Schweiz im Elfmeterschießen gegen England ausgeschieden war. Er hatte zwar 120 Minuten mitgemacht, aber mit Einschränkungen: „Ich konnte keine langen Bälle spielen und nicht aufs Tor schießen.“
Wegen eines beim Achtelfinalsieg gegen Italien erlittenen Muskelfaserrisses in der Leistengegend. Dass der Schweizer Rekordnationalspieler trotzdem auflief („alles andere ging“), wirkte grenzwertig. Aber auch symbolträchtig. Der Immerspieler von Bayer Leverkusen hatte allein auf Vereinsebene ja schon 50 Pflichtspiele in den Knochen und bis Ende Mai in drei Wettbewerben auf höchstem Niveau um Titel gekämpft. Neun Länderspieleinsätze kamen in 2024 noch obendrauf. Eigentlich ein Wunder, dass der Körper die Warnsignale so spät sendete.
Eine Vielzahl Spieler waren schon vor Turnierstart eigentlich am Ende, weil mental gar nicht mehr in der Lage, die letzten Reserven anzuzapfen. Im Umfeld des belgischen, französischen und englischen Teams mit vielen Akteuren aus den englischen, spanischen und italienischen Topvereinen häuften sich hinter den Kulissen die Beschwerden über die Überlastung – nur wollte das kaum jemand sagen, weil es als billige Ausrede für blutleere Darbietungen gegolten hätte. Was indes erklärt, warum Georgien und die Türkei, Slowenien und Rumänien phasenweise so gut mitgehalten haben. Deren Profis konnten das Limit noch nach oben verschieben.
Dass das Thema gerne verschwiegen wird, hat einen einfachen Grund: Alle sind Profiteure eines Systems, das (noch) nach der Gleichung funktioniert: mehr Spiele gleich mehr Vermarktung gleich mehr Geld. So lange die Fans sich nicht gelangweilt abwenden, geht das gut. Nur die Spielergewerkschaft Fifpro schlug vor dem Champions-League-Finale in London einmal Alarm. „Die psychische Gesundheit der Spieler steht auf dem Spiel, wenn wir diesen Weg weitergehen“, sagte Darren Burgess, Mitglied eines Beratungsgremiums der Fifpro.
Die UEFA hält sich bei dieser Thematik auffällig zurück. Hinter den Kulissen tobt ein erbitterter Streit mit dem Weltverband FIFA, wer mehr aus neuen Wettbewerben herauspresst. Die UEFA hat ja die Europapokalwettbewerbe für die kommende Spielzeit ausgeweitet: In der Champions League und Europa League wird es nun 189 Begegnungen brauchen, um die Sieger zu küren. Eine Expansion, die natürlich der Profitmaximierung dient.
Zudem ist die von der Uefa zentral vermarktete Nations League im Kalender bereits so etabliert, dass dieser Wettbewerb gleich nach der EM startet – und erst im März 2025 die WM-Qualifikation ausgetragen wird. Die FIFA wiederum installierte eine aufgeblähte Club-WM. Vom 15. Juni bis 13. Juli 2025 werden erstmals 32 Teams aus aller Welt in den USA dieses Turnier bestreiten. Es wird nicht besser.
FRANK HELLMANN