Bilder aus einer anderen Zeit: Tour-de-France-Teilnehmer 1930 auf dem Weg zum Tourmalet. © IMAGO
Spektakel garantiert: Die Fans können mit Motor-Unterstützung oder mit dem Sessellift auf den Tourmalet – die Profis müssen strampeln. © IMAGO
München/Pau – Demonstriert Tadej Pogacar weiter seine Macht? Greift Titelverteidiger Jonas Vingegaard an? Oder kann gar der Zweitplatzierte Remco Evenpoel für eine Überraschung sorgen? Wenn die Tour de France ab dem Wochenende durch die Pyrenäen kraxelt, wird sich der Sieg bei der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt (vor-)entscheiden. Besonders im Fokus: die Überquerung des Col du Tourmalet (2115 Meter) am Samstag.
Bereits vor einem Jahr lieferten sich der Slowene Pogacar und der Däne Vingegaard dort ein episches Duell, das sogar Tourgast und Präsident Emanuel Macron aus dem Sattel gehen ließ. Das bayerische Red Bull-Bora-hansgrohe-Team hingegen hat keine guten Erinnerungen – Jai Hindley verlor damals das Gelbe Trikot. Diesmal sind bereits die Vorzeichen alles andere als gut. Podest-Hoffnung Primoz Roglic rollte am Donnerstag an der Schulter blutend ins Ziel, am Freitag musste er seinen beiden Stürzen Tribut zollen.
„Primoz wurde nach der gestrigen Etappe und auch heute Morgen von unserem medizinischen Team sorgfältig untersucht. Es wurde entschieden, dass er heute nicht starten wird, um sich auf die kommenden Ziele zu konzentrieren“, teilte das Team mit. Die anspruchsvolle und kräftezehrende Etappe, die neben den Tourmalet zum Abschluss auch im Zielort Saint-Lary-Soulan (1669 Meter) einen Anstieg der höchsten und härtestens „Hors Catégorie“ parat hält, wäre wohl zu viel gewesen.
Am Gipfel des Tourmalet, vis-à-vis zur urigen Steinhütte, thront die Statue des früheren Rennfahrers Octave Lapize. Der Franzose war bei der Erstüberquerung 1910 der Schnellste und trägt seitdem den Beinamen „Le Géant du Tourmalet“ (der Gigant des Tourmalet). Um zu erfahren, ob man dort überhaupt fahren kann, schickte der damalige Tourdirektor Henri Desgrange Erkunder los. Der Legende nach schickte Alphonse Steinès nach der Inspektion folgendes Telegramm zurück: „Bin gut über den Tourmalet gekommen. Stopp. Straße in gutem Zustand. Stopp. Keine Schwierigkeiten für die Fahrer.“ Dabei wäre er auf dem ruppigen Schotterweg in den Schneewehen fast erfroren.
Auch Lapize war danach kurz vor dem Umfallen. Die 325 Kilometer (!) lange Etappe, die um 3.30 Uhr morgens gestartet wurde, führte nämlich noch über den Col d’Aubisque (1709 Meter). Lapize stieg ab und schimpfte: „Ihr seid Mörder“. Dennoch triumphierte er nach 14 Stunden in Bayonne und am Ende auch in der Tour-Gesamtwertung.
Eddy Merckx gewann 1969 am Tourmalet mit unglaublichen acht Minuten Vorsprung. Nur annähernd ähnliche Abstände sind heute nicht mehr denkbar, zu perfekt und digitalisiert ist mittlerweile die Leistungs- und Rennüberwachung. Visma-Lease a Bike, das Vingegaard-Team, hat dafür eigens einen Performance-Bus, der jede Etappe begleitet. Auf unzähligen Bildschirmen wird das Renngeschehen bis ins kleinste Detail analysiert. Ob Leistung, Trittfrequenz, eingelegter Gang oder Reifendruck, alles wird kontrolliert. Auch physiologische Daten (Herzfrequenz, Körpertemperatur oder Schweißbildung) können gesammelt werden, dürfen laut den Regeln des Weltverbands (UCI) aber nicht übertragen werden, nur der Fahrer selbst darf diese auf seinem Bordcomputer einsehen.
Trotz all der Technik, sind es auch heute letztlich noch die Beine der Fahrer, die die Strapazen überwinden müssen. Und für sie gilt, was die französische Zeitung „Le Figaro“ schon 1949 festhielt: „Der Tourmalet ist ein Monster, das man besiegen muss.“
MATHIAS MÜLLER