Der Schrei der Erlösung: Nico Williams nach seinem Treffer gleich nach der Pause, mit dem er den englischen Abwehrriegel aufbrach. © AFP/INA FASSBENDER
Berlin – Die Gerechtigkeit hat gesiegt, denn Spanien hat gesiegt. „Nicht immer gewinnt die bessere Mannschaft“, hatte Englands Trainer Gareth Southgate vor dem Finale noch gesagt – doch er wurde widerlegt. Spanien bestätigte die durch das gesamte Turnier gezeigte Klasse mit einem 2:1 (0:0) gegen England, das sich kurz aufbäumte, aber weiter mit dem Schmerz der Titellosigkeit leben muss. Spanien ist nach 1964, 2008 und 12 wieder Europameister.
Die Stimmung im Berliner Olympiastadion: prächtig – mit eindeutigem Ausschlag des Dezibel-Zeigers auf die englische Seite. Die Fans hatten sich mit den Klassikern des arenentauglichen Pops warmgesungen (“Wonderwall“, „Angels“, „Three Lions“, „Hey Jude“), und nachdem sie die sterile Eröffnungsshow der UEFA über sich hatten ergehen lassen, ging es mit voller Stimmpower ins Spiel. In dem zeigte sich zugleich, dass der im Finale eigentlich zur Neutralität verdammte deutsche Michel dem Spanier Marc Cucurella weiterhin unerbittlich sein Handspiel aus dem Viertelfinale nachtrug, der Verteidiger wurde ausgepfiffen, was der spanische Anhang mit Gegenchören aufzufangen versuchte. Doch als Gesang kam der roten Kurve nur ein zaghaftes „Eviva Espana“ über die Lippen.
Dabei war unten auf dem Platz deutlich mehr „Eviva Espana“ als „Engelond“. „Wir werden unseren Stil beibehalten“, hatte Trainer Luis de la Fuente Ballbesitz und Dominanz angekündigt. England sah sich früh dem Druck der Iberer ausgesetzt, da musste dann die eine oder andere resolute Grätsche wie von John Stones gegen Nico Williams her, der immer wieder über die linke Seite versuchte, in den Sechzehner zu dribbeln. Coach Gareth Southgate, früher ja selbst Verteidiger (und 1996 bei der EM am 0:0 gegen Spanien im Viertelfinale mit anschließendem Sieg im Elfmeterschießen beteiligt), konnte zufrieden sein mit der Abwehrarbeit 2024: Es entstand kein Raum für die Spanier, kein Abschluss, der Torwart Pickford herausgefordert hätte.
Doch genauso unvollendet blieben auch die paar englischen Konter. Spaniens Verteidiger waren genauso aufmerksam wie die auf der Gegenseite, außerdem kam aus dem Mittelfeld Rodri dazu, der halt auch mal einen Schuss blockte (Kane, 44.). sich aber dabei verletzte und raus musste. Immerhin gelang England kurz vor dem Wechsel durch Phil Foden ein echter Torschuss; Unai Simon hielt den Ball aber sicher. Ein Rückstand hätte nicht zu 70 Prozent an Spielanteilen gepasst.
Spanien brauchte eine Aktion, die der individuellen Klasse seiner Spieler entspricht. Ganz Europa hatte geschwärmt von den beiden jungen Flügelspielern Lamine Yamal und Nico Williams als dem Upgrade für das oft in seinem Selbstzweck erstarrende Ensemble. Und da waren sie dann: Idee und perfekte Ausführung. In der zweiten Minute des zweiten Durchgangs spielte der am Samstag 17 gewordene Yamal seinen Kumpel frei, und der setzte von links den perfekten Schuss. 1:0. Die Spanier hatten in den folgenden fünf Minuten mehr klarere Chancen als in der ersten Hälfte.
Was die Engländer im Turnierverlauf ausgezeichnet hatte, war ihre Resilienz. Ein Rückstand haut sie nicht um. Southgate brachte nach einer Stunde Halbfinal-Joker Watkins für Kane, es musste ein Signal erfolgen, den Weg zum Tor zu suchen, die eigene Offensiv-Prominenz einzubringen. Cole Palmer war der nächste Joker. Die Aufgabe für Spanien: nicht noch einmal den Ausgleich zulassen wie gegen Deutschland. Unverwundbar ist de la Fuentes Team halt nicht – und so kassierte es in der 73. Minute durch einen strammen Schuss von Palmer (gemessen mit 118 km/h) das 1:1. Doch es stürmte weiter, belohnte sich durch Oyarzabal – und nahm am Ende auch das Dusel eines Champions in Anspruch, als auf der Linie ein englischer Kopfball geklärt wurde. Danach nur noch Jubel.
GÜNTER KLEIN