TAGEBUCH

Letzte Ausfahrt Berlin – ohne King und Hanne

von Redaktion

Berlin, die letzte Station der EM-Tour. Ein Geschenk für die Engländer. Sie schätzen den wohligen Grusel, den ihnen Deutschlands Vergangenheit bereitet. Das Olympiastadion sieht immer noch nach 1936 aus, die Historie wird nicht geleugnet. Die UEFA hat sie sogar aufgegriffen, die VIP-Zelte heißen „The Maifeld Garden“.

Schade jedoch, dass Deutschlands einziger Weltstadt zwei Fußball-Attraktionen der etwas neueren Geschichte verlorengegangen sind. 2014 machte das Café King dicht, berühmt aus dem Wettskandal um die Betreiberfamilie Sapina im Jahr 2005, mit Robert Hoyzer als gekauftem Schiri in einer Haupt- und dem jetzigen EM-Referee in mindestens einer kleinen Statistenrolle. Jetzt ist dort Altberliner Küche, man könnte sich vorstellen, dass Manuel Gräfe dort in einer Ecke sitzt und auf den DFB schimpft.

Legendär war das „Hanne am Zoo“, das schon als Fußballkneipe galt, als man noch nicht in Gaststätten ging, um ein Spiel anzuschauen. Zunächst hieß es „Holst am Zoo“, betrieben vom ehemaligen Hertha-Präsidenten Wolfgang Holst, der dann an Hans „Hanne“ Weiner übergab, der in den 80ern für den FC Bayern verteidigt hatte. 2010 war Schluss, der Mietvertrag lief aus. Hannes Kneipe wurde durch einen Asia-Imbiss ersetzt, doch erst jetzt sieht man, was der Besitzer wirklich vorgehabt hatte: das große Geschäft. Das Gebäude unmittelbar neben dem weltberüchtigten Bahnhof Zoo, das neben Weiners Kneipe einige Erotikfachmärkte beherbergt hatte, wurde abgerissen; nun steht dort wie ein frisch gelandetes silbernes Ufo ein Riesen-Primark mit Starbucks und sonstiger System-Gastronomie, Repräsentanten einer cleanen Konsumwelt. Nur der morbide Geruch von früher wabert gegen die Moderne an.

2006 gehörte es zum Reporterpflichtprogramm bei der WM: Cappuccino trinken im King, Gespräch mit Hanne in seiner Kneipe, in der mancher Absturz stattgefunden haben mag. Das wäre 2024 auch für die Engländer ein schönes Kulturprogramm gewesen. So blieb ihnen halt nur der Breitscheidplatz. Das Schild, das das Mitführen von Schlagringen untersagt, Buden mit schlechtem Essen, kein Schatten, sondern pralle Sonne, die sie verbrannte. Ein zutiefst englischer Ort. Mit gleichwohl glücklichen Menschen. Fußball eben.

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