BREAKING

„Es ist nicht alles authentisch abgelaufen“

von Redaktion

Jilou über Probleme und Chancen durch die Aufnahme ins Olympia-Programm

Die Sportart Breaking feiert in Paris seine olympische Premiere – im Vorfeld lief noch nicht alles perfekt. © IMAGO

Bleibt positiv, obwohl sie Olympia knapp verpasst hat: Jilou Rasul © Soulrocking/Hoang Vu

Jilou Rasul ist das Gesicht der deutschen Breaking-Szene. Die Sportart feiert bei den Olympischen Spielen in Paris Premiere. Lange sah es gut aus, dann zerplatzte der Olympia-Traum für B-Girl Jilou. Im Interview mit unserer Zeitung spricht die 31-Jährige über den Einfluss der Spiele, die kreative Ader der Eltern und den Weg zur Gleichberechtigung.

Jilou, Sie haben die Qualifikation für die Olympischen Spiele verpasst. Dabei sah es lange sehr gut aus, Sie haben über Jahre Top-Ergebnisse eingefahren.

Ich habe so vieles zurückgestellt, um mich für Olympia zu qualifizieren. Aktuell bin ich in einer Phase der Neuorientierung. Natürlich war erst Trauer da, ich war so kurz davor, es zu schaffen. Aber ich schaue lieber nach vorne und setze mir eben neue Ziele. Die Olympischen Spiele sind nur ein kleiner Teil vom Breaking, ein Date. Aber die Beziehung, die wir zu unserem Sport haben, hängt nicht von Olympia ab.

Wie blicken Sie auf die Entscheidung, Breaking in die Olympischen Spiele zu integrieren, aus persönlicher Sicht?

Die Olympischen Spiele waren das Beste, was meiner Karriere passieren konnte. Ich konnte die Aufmerksamkeit von großen Sponsoren gewinnen und mit ihnen zusammenarbeiten. Auf dem Weg hin zu Olympia, auch wenn es mit der Qualifikation nicht geklappt hat, habe ich unheimlich viel gewonnen.

Es gab immer wieder auch Kritik aus der Szene.

Es ist nicht alles authentisch abgelaufen. Der Weltsporttanzverband hat einige Zeit gebraucht, um zu verstehen, dass sie nicht alles wissen und nicht alles gut ist, was sie machen. Und, dass sie nicht einfach ihr Programm auf uns überstülpen können. Beispielsweise, dass die Tänzer, nachdem sie ausgeschieden sind, ganz hinten von der letzten Reihe zuschauen sollen. Die Bühnen waren teilweise 25 Meter breit, das sind einfach keine Maße für uns, da ist man komplett verloren gegangen. Vielleicht können andere Verbände zukünftig davon lernen: Wenn Trendsportarten in ein System wie Olympia eingepasst werden sollen, sollte man ganz explizit auf die Leute hören, die seit Jahren in der Szene sind.

Auch für Sie persönlich ist nicht immer alles glattgelaufen.

Ich bin mit dem Bundestrainer nicht zurechtgekommen und es gab Sachen, die einfach nicht fair abgelaufen sind. Beispielsweise, dass ich auf ein Gruppenbild nicht mit draufgenommen wurde. Das hat sich nicht gut angefühlt. Man ist das Zugpferd Deutschlands, liefert immer die besten Ergebnisse ab und das Team macht ein Gruppenfoto ohne einen. Ich hatte das Gefühl, dass der Bundestrainer nicht hinter mir steht. Das tut schon weh. Da gab es einen Punkt, an dem ich gedacht habe: Ich schmeiße mit der Qualifikation für Olympia hin. Vor einem Wettkampf hatte ich Fieber, musste meinen Flug um 24 Stunden verschieben und habe mich vor der Competition im Hotel zurückgezogen. In so einem Moment hätte ich eigentlich mehr Fürsorge erwartet als weniger.

Wie viel gibt Ihnen Ihr Sport?

Breaking ist wie eine Therapie. Wie der Seelenverwandte, der einem zuhört. Man kann seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Man fühlt sich verstanden und wohl.

Hat die künstlerische Ader Ihrer Eltern auch dazu beigetragen, dass Sie im Breaking eine kreative Weise gefunden haben, Emotionen auszudrücken?

Einen eigenen Stil zu haben und darüber hinaus auch einen eigenen Wert für die Gesellschaft, das haben mir meine Eltern über die Kunst mitgegeben. Sie haben mich immer dazu motiviert, kreativ zu sein. Es ging nicht darum, perfekt zu sein. Sondern darum, seinen eigenen Weg zu gestalten.

Sie nutzen Ihre Plattformen, um sich zu sozialen Themen zu äußern. Wie weit ist die Breaking-Szene in Sachen Gleichberechtigung?

Wir sind auf einem guten Weg, aber es besteht immer noch sehr viel Handlungsbedarf. Bei den Qualifikationswettkämpfen war das katastrophal. Wir Frauen waren immer vor den Männern dran und standen dann an einem Sonntagmorgen um 9:30 vor 20 Zuschauern auf der Bühne. Es ist unglaublich schwer, vor einem leeren Publikum zu tanzen. Bei den Olympischen Spielen wird die Parität hochgehandelt. Aber Parität, das sind erstmal nur Zahlen, und nicht gleichzusetzen mit Gleichbehandlung. In diesem Rennen laufen manche mit Sneakern und manche barfuß auf Schottern. Man muss den Menschen auch die Möglichkeit geben, aufzuholen. Wir hatten nun mal viele Jahre medial viel weniger Aufmerksamkeit als die Männer. Wir brauchen die Chance, unsere Geschichten zu erzählen.

Zermürbt es Sie manchmal, sich so aktiv dafür einzusetzen und dann aber doch oft nur kleine Fortschritte zu bemerken?

Ich weiß, dass es für mich vielleicht nicht die großen Auswirkungen hat. Aber, wenn wir immer nur an uns selbst denken, bringen wir die Gesellschaft nicht weiter. Unsere aktuelle deutsche Meisterin im Breaking ist 15 Jahre alt. Wenn ich daran denke, was sie in Zukunft für Möglichkeiten hat, weiß ich, dass sich das alles lohnt. Mir liegt es am Herzen, meine Energie in die Zukunft des Frauensports zu investieren.


INTERVIEW:

NICO-MARIUS SCHMITZ

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