Bereit für den Gold-Angriff: Dausers Arm hält – trotz schwerer Muskelverletzung vor knapp vier Wochen. © IMAGO/Laci Perenyi
München – Einer der ersten Kommentare kam von Fabian Hambüchen. „Let‘s goooooooo! Soooooo verdient!“, schrieb der Reck-Olympiasieger von 2016 unter der Instagram-Post, den Lukas Dauser am späten Mittwochnachmittag geteilt hatte. Er zeigte ein Video, in dem viele Muskeln, viele Tape-Verbände und letztendlich das zu sehen war, auf das der 31-Jährige nun seit knapp vier Wochen akribisch hingearbeitet hatte: Eine starke Barren-Übung – trotz schwerer Oberarmverletzung. Dauser hat das Wettrennen gegen die Zeit gewonnen.
Nicht nur der Weltmeister selbst, sondern der ganze DTB atmete auf bei den Bildern, die aus dem nationalen Trainingscamp in Kienbaum gesendet wurden. Denn auch wenn Dausers Kampfgeist aus mehr als 25 Jahren Leistungssport hinlänglich bekannt ist, hatte ihm nicht jeder den Weg zurück in Rekordzeit zugetraut. Gerade mal dreieinhalb Wochen war es bis zum offiziellen Härtetest am Donnerstag schließlich her, dass sich der Unterhachinger bei der Olympia-Qualifikation in Rüsselsheim an den Ringen eine schwere Armverletzung zugezogen hat. Der Bizeps-Muskel war und ist enorm angegriffen, normalerweise wären ihm sechs Wochen Ruhe verordnet worden. Mit Blick auf den Zeitplan aber war klar: Es muss schneller gehen. Fünfeinhalb Wochen blieben bis zur Qualifikation der Gerätturner auf dem olympischen Podium in Paris.
Es hätte einige gegeben, die den Kopf in den Sand gesteckt hätten. Aber wer Dauser kennt, weiß, dass Aufgeben für ihn keine Option war. Man hat ihn in den ersten Tagen nach der Verletzung niedergeschlagen erlebt, trotzdem hatte er einen klaren Plan. Die Abwägung aus Risiko und Vernunft begleitete die Therapie, die zunächst in Haching stattfand und dann nach Kienbaum verlagert wurde. Schon am Tag vor dem finalen Test ließ Dauser gegenüber unserer Zeitung wissen: „Es sieht gut aus!“ 90 Prozent der Übung an seinem Paradegerät Barren hatte er im Training schon wieder drauf. Nun sind es 100. Und somit die realistische Chance auf eine Medaille.
„Ich kann gar nicht sagen, wie froh ich bin“, sagt Dauser. Die Steine, die ihm bei der Landung im sicheren Stand vom Herzen fielen, ließ er in einem lauten Schrei raus, der Fokus aber bleibt gesetzt. Neun Tage bleiben, um weiter „Vertrauen in meinen Körper aufzubauen“. Bis jetzt schon haben Ärzte und Physios – allen voran DTB-Vertrauensmann Cyrus Salehi-Khuzani – „das Unmögliche möglich gemacht“. Das Motto für Paris lautet nun: „Kontrolliert angreifen.“
Dass Dauser die Barren-Übung, mit der er im Vorjahr WM-Gold holte, „im Schlaf“ kann, kommt ihm nun zugute. Kriegt er sie bei der Qualifikation durch, ist ein Platz im Finale am 5. August gewiss. Und gelingt ihm da eine ähnlich perfekte Darbietung wie 2023 in Antwerpen, ist alles drin. Silber hat Dauser schon aus Tokio, was folgen soll, ist klar. Und da kommt auch wieder Hambüchen ins Spiel. Der heute 36-Jährige war wegen einer hartnäckigen Schulterverletzung 2016 bekanntlich kurz vor dem Aus– und krönte seine Karriere in Rio dann mit Gold am Reck.
HANNA RAIF