Macrons Plan wird nicht aufgehen

von Redaktion

Sportpolitik-Experte Mittag über die Spiele, die Probleme in Frankreich und das IOC

Prof. Dr. Jürgen Mittag, Universitätsprofessur für Sport und Politik an der Deutschen Sporthochschule Köln und Leiter des Instituts für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung, ist gefragter Gutachter und Kenner internationaler Sportorganisationen. Im Interview mit unserer Zeitung spricht Mittag über oligarchische Strukturen beim IOC, die Person Thomas Bach und Olympia in Deutschland.

Herr Mittag, werden sich die geopolitischen Konflikte auch auf die Olympischen Spiele auswirken?

Unterschiedliche Gemengelagen der Weltpolitik wirken sich immer auch auf Sportgroßereignisse aus. Das war bei der Europameisterschaft schon so, bei den Olympischen Spielen multipliziert sich das noch mal durch die Reichweite und die Anzahl der teilnehmenden Nationen. Über die Bühne der Olympischen Spiele soll viel vermittelt werden, da drängen sich viele verschiedene Interessen auf.

Kann man Sport und Politik da überhaupt trennen?

Nein. Es gibt einen derart hohen Grad an Öffentlichkeit und Mobilisierungsfähigkeit beim Sport. Dadurch haben Sportgroßereignisse im erheblichen Maße eine öffentliche und politische Funktion.

Die politische Stimmung in Frankreich ist angespannt. Kommen die Olympischen Spiele da für Macron besonders gelegen oder ungelegen?

Beides: Auf der einen Seite wird Macron versuchen, die weltweite Aufmerksamkeit für die Olympischen Spiele und deren potenziell erfolgreiche Durchführung als Ausdruck der Stärke und Leistungsfähigkeit Frankreichs im Allgemeinen und seiner politischen Bewegung im Besonderen zu nutzen. Angesichts des für Macron schwierigen Wahlergebnisses und der anhaltenden Debatte um die Regierungsbildung In Frankreich wird die Aufmerksamkeit aber nicht so ungeteilt wie ursprünglich erhofft Macron und der Exekutive gelten, sondern auch anderen politischen Kräften zuteilwerden.

Das IOC wird oft kritisch gesehen. Wie funktioniert der Verband?

Der Bestellungsmodus des IOC weist in einigen Merkmalen oligarchische Strukturen auf. Er basiert nicht auf dem Repräsentationsprinzip, da die NOK´s ihre Delegierten nicht ins IOC entsenden, sondern das IOC vielmehr seine Mitglieder selbst von innen heraus rekrutiert. Aus diesem Grund wird dem IOC vielfach fehlende Kontrolle und ein Mangel an demokratischen Strukturen vorgehalten. Auf der anderen Seite muss aber auch festgehalten werden, dass das IOC zugleich daraufsetzt, die olympische Werte hochzuhalten. Olympische Spiele als Ort der Völkerverständigung, die Einhaltung von Fairplay, die Ausrichtung auf Bildung bzw. die Einbindung der Jugend und zuletzt die Hinzufügung von „gemeinsam“ zu schneller, höher, stärker“ – all dies sind auch vom IOC verfolgte Strategien.

Zum Thema Völkerverständigung. Thomas Bach wurde viele Jahre vorgeworfen, dass er keine kritische Distanz zu Autokraten zu haben. Mit Putin scheint er es sich jetzt aber verscherzt zu haben.

Thomas Bach hat sich deutlich gegen die von Russland für September geplanten Friendship Games ausgesprochen und kritisiert, dass Russland den Sportgedanken mit diesem Event instrumentalisiert und politisiert. Dafür hat er viel Ärger aus Russland bekommen, der alte Putin-Freund und Putin-Versteher Bach wurde nunmehr beschimpft und der Politik des IOC die Begriffe „Rassismus und Neonazismus“ zugeschrieben. Auf der anderen Seite muss auch gesehen werden, dass Thomas Bach und das IOC in einem gewissen Dilemma stecken. Gerade Bach ist oftmals eine zu große Nähe zu Autokraten und eine Vernachlässigung von Menschenrechten nachgesagt worden. Die Sportwelt ist aber nicht nur eine westliche Welt bzw. eine Welt der demokratischen Staaten. Deshalb muss der Präsident eines internationalen Sportverbandes auch Kontakt zu Repräsentanten aller Staaten halten. Ob da immer der richtige Ton getroffen wurde und die Nähe bisweilen vielleicht nicht zu nah war, ist aber durchaus zu diskutieren. Einen Aspekt zu den Strukturen des IOC möchte ich gerne noch ergänzen.

Gerne.

Die aktuelle Debatte um eine Amtszeitverlängerung von Bach sehe ich kritisch. Der Präsident des IOC wird für acht Jahre gewählt und kann dann nochmals für vier Jahre wiedergewählt werden. Danach ist eigentlich keine Wiederwahl mehr vorgesehen. Das ist im Nachgang zum Skandal von Salt Lake City vor vielen Jahren so festgelegt worden, die olympische Bewegung stand damals an der Speerspitze derjenigen, die sowas wie Good Governance vorangetrieben haben. Jetzt gibt es die Debatte, ob die Statuten verändert werden soll, damit Bach eine dritte Amtszeit bekommt. Ich finde, das tut der olympischen Bewegung nicht gut. Das zeugt weder von Transparenz noch Respekt den eigenen Regeln gegenüber, letztlich werden Good Governance-Ziele dadurch ad absurdum geführt.

In Deutschland geht es mit der Sportreform nicht richtig voran. Wieso?

Die aktuelle Ampelregierung hat sich sportpolitisch einiges vorgenommen. Drei große Projekte standen in den letzten Jahren im Blickfeld: Zentrum Safe Sport, Spitzensportagentur, Entwicklungsplan Sport. Bei allen drei Großvorhaben knirscht es aber im Gebälk. Die deutsche Sportpolitik ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Vielzahl von Akteuren an ihr beteiligt sind. Verbände, Vereine, NGOs, Politik auf Bundes- und Länderebene und auch die Kommunen sind eingebunden. Das ganze System ist durch ein hohes Maß an Komplexität gekennzeichnet. Hier Veränderungen in die Wege zu leiten, bedarf eines langen Atems, finanzieller Mittel und eines erheblichen Unterstützungswillens. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund hat der DOSB unlängst nochmal die Idee aufgeworfen, ein Sportministerium einzurichten und den Sport zum Staatsziel zu erheben.

Es gibt wohl auch Grenzen dabei, bei der Bewerbung für Olympia in Deutschland an einem Strang zu ziehen.

Es mangelt am erklärten Willen der Verantwortlichen, sich zu 100 Prozent zu Olympia zu bekennen. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, weil man weiß, dass diese Frage nicht auf ungeteilte Zustimmung in der Bevölkerung trifft. Je schlechter sich die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen darstellen, desto kritischer wird hier absehbar das Stimmungsbild. Man wartet jetzt seit Jahren auf einen günstigen Moment, aber der ist einfach nicht gekommen.


INTERVIEW:

NICO-MARIUS SCHMITZ

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