Die Luftgewehr-Queen

von Redaktion

Garchingerin Janssen zählt zu den Favoriten – der verstorbene Mentor ist im Herzen dabei

Dreifache Europameisterin: Anna Janssen. © IMAGO

Am Ende der Saison 2023 steckte Anna Janssen in einem Tief. Die Ergebnisse passten nicht mehr, Paris schien weit weg. „Ich hatte keine Motivation mehr, keine Lust mehr, habe ein bisschen den Glauben verloren, mich noch für die Spiele zu qualifizieren“, sagt Janssen unserer Zeitung. Anfang 2024 ging die Sportschützin vom rein leistungsspezifischen Gedanken weg, wollte wieder Freude und Liebe für den Sport entwickeln. „Das hat perfekt funktioniert. Dieses Jahr habe ich richtig viel feiern dürfen.“

Und die Party soll in Frankreich weitergehen. Bereits am Samstag gibt es im Mixed-Wettkampf mit dem Luftgewehr die erste Medaillenchance, Janssen und Maximilian Ulbrich (23, Wilzhofen) gehören zu den Favoriten. Die 22-Jährige trainiert am Bundesstützpunkt Garching-Hochbrück, studiert in Freising Gartenbautechnik. Ihre Eltern und Geschwister produzieren Zierpflanzen, interessiert hat das Janssen nie sonderlich. Dann kam Corona, die Athletin half aus und merkte: „Ich bin super glücklich, wenn ich von Pflanzen umgeben bin.“

Ein guter Ausgleich zu einem Sport, der mental und körperlich fordernd ist. Mehrmals in der Woche Stabi- und Krafftraining ist notwendig, damit der Körper die Belastung aushält: „Die Position, in der wir schießen, ist alles andere als natürlich und man will nach zehn Jahren Sport ja auch nicht mit einem Bandscheibenvorfall aus der Karriere gehen.“ Janssen fasziniert der Drang zum Perfektionismus. Immer kann alles noch genauer und feiner abgestimmt werden. Bei der Europameisterschaft dieses Jahr räumte sie dreifach ab, gewann alles, was es zu gewinnen gab. „Es ist natürlich auch Druck, wenn du als Weltranglistenerste und Weltranglistenzweite in die Disziplinen startest. Aber ich weiß, was das für mich bedeutet, und das gibt mir Rückenwind.“

Ein Mentor war für den Weg hin zur Luftgewehr-Queen entscheidend. 2010 gewann der Bruder von Janssen die Deutsche Meisterschaft in der Schülerklasse. Trainer Rudi Joosten, der bei der SSG Kevelaer (Nordrhein-Westfalen) ein Leistungszentrum aufgebaut hatte, fragte an, ob er seine jüngeren Geschwister nicht auch für den Sport begeistern will. „Ich war recht früh recht gut und hatte viel Spaß daran.“ Schon nach einem Jahr gelang der Sprung in den Rheinlandkader, 2016 der Sprung in den nationalen Kader.

Und immer dabei: Rudi. „Er war wie ein Ziehvater. Er hat sich in jeglichen Situationen für mich eingesetzt und mich immer untersützt. Er hat mich groß gemacht. Wenn ich ehrlich bin, habe ich ihn vermutlich auch viele Nerven gekostet“, sagt Janssen. Im April 2021 verstarb Joosten an Krebs. Er bekam nicht mehr mit, wie aus dem jungen Mädchen ohne Erfahrung eine Olympiateilnehmerin wurde. „Ich habe letztens noch mit seiner Frau gesprochen. Sie hat gesagt: Einer wusste immer, dass das mit dir mal was wird. Rudi ist bei jedem Wettkampf im Herzen dabei.“
NICO-MARIUS SCHMITZ

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