„Die Medaillen werden im Kopf entschieden“

von Redaktion

Sportpsychologe Moritz Anderten über Visualisierungen und Störfaktoren wie die Seine

In Paris im Einsatz: Sportpsychologe Anderten.

Bei Moritz Anderten herrscht aktuell Hochbetrieb. Der Sportpsychologe vom Olympiastützpunkt NRW/Rheinland betreut in Paris Athleten aus diversen Sportarten wie Beachvolleyball, Bogenschießen oder Judo, seit vielen Jahren arbeitet er auch mit der Judo-Weltmeisterin und Fahnenträgerin Anna-Maria Wagner zusammen. „Ich habe ihn kennen gelernt, als es mir mental nicht so gut ging. Er hat mich wieder auf die richtige Bahn gebracht und vieles beigebracht, wovon ich noch heute profitiere“, sagte Wagner vor den Spielen von Tokio.

Bei den Spielen von Paris gibt es Sicherheitsbedenken, Anschläge wurden bereits vereitelt, das Thema ist medial dauerpräsent – auch bei den Athleten? „Die Sportler wissen natürlich um die politische Weltlage und bekommen auch die Sicherheitsbedenken rund um die Eröffnungsfeier auf der Seine mit. Ein Thema ist, dass Russen in manchen Sportarten teilnehmen. Es gibt schon gemischte Gefühle, aber ich erlebe keine Ängste oder Sorgen. Vielmehr spüre ich eine riesige Vorfreude auf Spiele in Europa, ohne Corona-Beschränkungen.“

Die Phase unmittelbar vor den Spielen sei mental eine Hochphase: „Da kann man noch unheimlich viel steuern und eine gewisse Ruhe reinbringen, damit der mentale Peak nicht zu früh erfolgt, sondern erst zum Wettkampf.“ Die Olympischen Spiele stellen eine Sondersituation dar, manche Sportler erleben sie, wenn überhaupt, nur einmal in der Karriere. Das Kräftemessen mit den besten Athleten der Welt. „Die entscheidende Frage ist dann: Wie sehr gelingt es dir, den Fokus und die Energie auf das Hier und Jetzt zu lenken? Die Medaillen werden dann im Kopf entschieden.“

Immer mehr Sportler bauen auf Visualisierungen. Das intensive gedankliche sich vorstellen von beispielsweise Bewegungsabläufen. Durch das jahrelange Training entstehen neuronale Netzwerke. Bewegungen werden im Kopf abgespeichert, Automatismen werden weiter eingeschleift. Der Athlet kann sich genau vorstellen: Wie sieht meine Barrenübung vor Zuschauern aus, ich stelle mir das Podium vor, ich stelle mir, wie der Balken sich anfühlt. „Alle Sinneseindrücke und Umgebungsbedingungen fließen in die Visualisierung ein. Das kann ganz viel Sicherheit geben, Ängste reduzieren und auch die Motivation fördern. Sportler haben dann im Wettkampf das Gefühl: Krass, das was hier gerade passiert, bin ich im Kopf ja schon tausendmal durchgegangen“, sagt Anderten.

Und was machen Unsicherheit, beispielsweise das lange große Fragezeichen, ob die Seine sauber genug ist, mit den Sportlern? „Das ist ein absoluter Störfaktor. Man kann hierfür Worst-Case-Szenarien vorbereiten. Was macht so eine Situation emotional mit mir, was kann körperlich passieren? Dadurch kann man die Athleten im Vorfeld desensibilisieren, die Intensität des Erlebnisses ist dann nicht ganz so hoch“, sagt Anderten.

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