ZUM TAGE

Paris kann so gut wie London werden

von Redaktion

Die Kraft des ersten Eindrucks

Man kann sich das noch gar nicht vorstellen, wie das sein wird, wenn die vielen Menschen, die an den Olympischen Spielen teilnehmen, nicht in ein Stadion hereinspazieren, sondern auf einem Boot einen Fluß entlang gefahren werden. Bewegt man sich als Teilnehmender da trotzdem wie auf dem Traumschiff zum Captain‘s Dinner? Werden Anna-Maria Wagner und Dennis Schröder mit der deutschen Fahne vorne am Bug stehen à la Kate Winslet und Leonardo Di Caprio im Titanic-Film? Und die vielen kleinen Nationen, die am Start sein werden – reicht für sie ein Ruderboot oder Kanu? Fragen über Fragen, die aber gute Indikatoren sind: Auf Paris 2024 darf man schon während des neuen Formats der Eröffnungsfeier gespannt sein. Vielleicht wird der Zwölf-Jahres-Rhythmus besonders gelungener Einstiegspartys in die Spiele fortgesetzt. 2000 in Sydney: „Waltzing Matilda“, der australische Klassiker. 2012 in London: Mister Bean und James Bond. Und nun scheint auch 2024 mit dem Spirit der Gastgeberstadt auf wunderbare Weise zu spielen. Die Seine wird zum Star. Oder: Jedem die Seine – sofern er den QR-Zugangscode hat.

Eine originelle Eröffnungsfeier kann die Spiele richtig schön anschieben. Die Startvoraussetzungen für Paris sind gut. Das erklärt sich aus den vorangegangenen Olympischen Spielen. Tokio 2021 – wegen Corona stimmungslos. 2016 in Rio – zu viele störende Nebengeschichten. Und die Wintereditionen: Peking 2022, Pyeongchang 2018, Sotschi 2014 – alles so künstlich wie Theaterkulissen. Paris leitet eine wiederum bessere Phase für Olympia ein – nicht mehr in autokratischen Staaten. Gigantomanie betreibt das IOC trotzdem, und wer in Paris lebt, wird die nächsten gut zwei Wochen massive Einschränkungen hinnehmen müssen. Allerdings ist dieses Vorab-Ächzen auch olympische Folklore. Vor zwölf Jahren haben die zunächst missmutigen Londoner sich auch noch mitreißen lassen von dem, was ihre Stadt erlebte.

2024 kann Gefühle von früher wecken, von einem Olympia-Erleben aus Kindheitstagen. Allerdings ist auch etwas anders: Das Programm fließt über vor Sportarten, bei denen das Kalkül des IOC offensichtlich ist, sich hippen Zielgruppen anzudienen: Breaking, Skateboard, Siebener-Rugby, Dreier-Basketball, Kajak-Cross. Der Titel Olympiasieger(in) bekommt etwas Inflationäres. Als Traditionalist mag man da durchaus eine Verwässerung wahrnehmen. Aber gut: Verwässerung – das ist eine Eröffnung auf der Seine ja auch, im Wortsinne sogar. Und es könnte uns gefallen. Guenter.Klein@ovb.net

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