„Wir wollen eine Medaille“

von Redaktion

Johannes Tille führte die deutschen Volleyballer nach Paris – und hat dort Großes vor

Der Strippenzieher: Johannes Tille dirigiert das deutsche Spiel auch in Paris. © IMAGO

Der erste Traum von Olympia war für Johannes Tille schnell dahin. Aus der feierlichen Eröffnungsfahrt auf der Seine am Freitag wird nichts werden. Denn schon Tags darauf wartet zu früher Morgenstunde der olympische Ernstfall. Um 9.00 Uhr ist Japan der erste Prüfstein für Tille und seine deutschen Volleyballer.

Der Asien-Meister ist der aktuelle Weltranglisten-Zweite, bei den Volleyballern so etwas wie die Mannschaft der Stunde. Mit anderen Worten: Ein Duell, das gleich einmal zeigen muss, wohin es für die Rückkehrer aus Deutschland in Paris gehen kann. Die Volleyballerbrust ist nach der großartigen Olympia-Qualifikation in Brasilien breit, doch: „Der Spielplan verzeiht wenig“, sagt auch DVV-Sportchef Christian Dünnes. Zwar kommen sogar zwei Dritte aus den drei Vierergruppen in Viertelfinale. Doch einer dieser Plätze ist mutmaßlich für die Gruppe B vorreserviert, wo die mutmaßlich überforderten Ägypter am Start sind.

Viele erwarten die Antwort, wie weit es für die deutschen olympischen Rückkehrer nach der Vorrunde gegen Japan, die USA und Argentinien gehen kann, vom brachialen Superstar Georg Grozer. Doch noch mehr könnten die Geschicke in Tilles Händen liegen. Als Zuspieler ist der 27-Jährige von Serienmeister Berlin Volleys der Kopf des Teams – der Mann, der die Fäden zieht.

Das ist insofern schon speziell, weil in dieser Position Veteran und Kapitän Lukas Kampa lange unantastbar schien – auch weil er speziell mit Grozer besser eingespielt ist. Doch dann verletzte sich Kampa zu Beginn der Olympia-Qualifikation. Tille übernahm und er tat das auf begeisterndem Niveau. „Es ist vielleicht mein Vorteil, dass ich vor großen Herausforderungen keine Angst habe“, sagte er. Bundestrainer Michal Winiarski wird es nur recht sein – er kann für die Spiele nun eben mit beiden planen.

Im Grunde kennt es der 27-Jährige, der mit 1,84 Metern zu den eher kleinen Volleyballern zählt, ja nicht anderes als mit Konkurrenzkampf. Als Kind, zu Hause in Mühldorf, hatte er zwei volleyballernde Brüder vor sich. Später, beim GCDW Herrsching trat der Hoibbyangler, der seit geraumer Zeit im Besitz eines Angelscheins ist, dass er auch Bundesliga kann. Bis er über die französische zweite Liga nach Berlin kam. Ausgerechnet zu den Alles-Gewinnern nach Berlin, dem einzigen deutschen Club, der sich auch konstant im Dunstkreis der Elite Europas hält. Doch auch dort war Tille – natürlich – da, als sich die Chance durch eine Verletzung des Stammzuspielers bot. Er packte zu und wurde zu einem der kreativsten Spielmacher Europas.

Und nun also Olympia. Auf der Bühne, die seinem Bruder, dem Ausnahme-Libero Ferdinand, auch wegen der damals noch komplizierteren Qualifikationskriterien versagt geblieben war. Dass Johannes Tille es nun auch dorthin brachte, mag ein „absoluter Traum sein“, ist bei seiner Geschichte aber irgendwie konsequent.

Und das wäre es auch, wenn es im Turnier tatsächlich weit geht. Das DVV-Team mag als Weltranglisten-11. kein Favorit im elitären Zwölferfeld sein. Aber das war es auch bei der Qualifikation in Rio de Janeiro nicht. Und trotzdem rauschte man mit optimalen sieben Siegen durch die Turnierwoche. Darunter auch zwei spektakuläre, gegen die brasilianischen Gastgeber und gegen Ex-Weltmeister Italien.

Zumindest war das eine länger nicht mehr gekannte Visitenkarte. Vielleicht sogar die beste einer deutschen Volleyball-Nationalmannschaft, elf Jahre nach dem letzten Start unter den fünf Ringen. Auf jeden Fall ein Auftritt, der Perspektiven schafft. „Wir sind uns in der Mannschaft einig, dass eine Medaille unser Ziel ist“, sagte Tille, „wir wollen darum mitspielen.“

Die verpasste Eröffnungsfeier wäre dann leicht zu verschmerzen.
PATRICK REICHELT

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