Will in Paris auch die nächste Generation inspirieren: Die ukrainische Leichtathletin Anna Ryzhykova. © IMAGO
15 russische Sportler gehen bei den Olympischen Spielen von Paris an den Start. Unter neutraler Flagge, es wird keine Nationalhymne gespielt, die Athleten dürfen keine Verbindung zur Armee haben oder Unterstützung für den Angriffskrieg auf die Ukraine gezeigt haben. Die ukrainische Leichtathletin Anna Ryzhykova (34), nationale Rekordhalterin über die 400-m-Hürden, spricht mit unserer Zeitung über die Bedeutung der Spiele, schreckliche Nachrichten aus der Heimat und ein mögliches Aufeinandertreffen mit russischen Sportlern.
Anna Ryzhykova, welche Bedeutung haben die Olympischen Spiele für die Ukraine?
Russland nutzt Propaganda, verbreitet Lügen. Wir sind hier, um unsere Geschichte zu erzählen. Wir möchten unser Land, unsere Familien und unsere Freunde retten. Wir wollen nicht, dass die Leute die Ukraine vergessen. Wenn wir nicht bei den Olympischen Spielen wären, hätten wir keine Sichtbarkeit und würden einfach vergessen werden. Wir haben es verdient, hier zu sein.
Können Medaillen die Sorgen zumindest kurzzeitig vergessen lassen?
Als Yaroslava Mahuchikh den neuen Weltrekord im Hochsprung aufgestellt hat, war das ganze Land stolz auf sie. Solch gute Nachrichten brauchen die Menschen in der Ukraine, das gibt Hoffnung. Am nächsten Tag wurde das Kinderkrankenhaus bombardiert, da waren die guten Gefühle über den Rekord schnell wieder weg.
Wie können Sie sich bei all den schrecklichen Nachrichten aus der Heimat auf den Sport konzentrieren?
Ich bekomme natürlich alles mit, teile die Sachen auf Instagram und versuche meine Reichweite zu nutzen. Aber ich muss mir auch Pausen nehmen. Wenn ich die ganze Zeit die Nachrichten verfolgen würde, würde ich meine Motivation und Kraft verlieren, an Training wäre dann nicht mehr zu denken.
Bei den Olympischen Spielen werden auch russische Athleten starten, wenn auch unter neutraler Flagge. Wie gehen Sie damit um?
Zum Glück dürfen in der Leichtathletik keine Russen starten. Eventuell treffen wir sie im Olympischen Dorf. Ich weiß ehrlich nicht, wie ich reagieren würde. Ich hoffe immer noch, dass sie einfach nicht da sein werden. Diese Menschen verdienen keine Aufmerksamkeit und keinen Respekt. Beim Tennis wird es keinen Handschlag geben, das ist zumindest ein kleiner Boykott. Wir können doch keinen Russen die Hand geben, während unser Land bombardiert wird. Während unsere Leute in der Heimat sterben. Meiner Familie geht es zum Glück geht, aber es wird jeden Tag gefährlicher. Immer hört man von neuen Angriffen. Jeder von uns hat irgendwen in diesem Krieg verloren. Es muss für jeden ukrainischen Sportler sehr schmerzvoll sein, gegen einen Russen anzutreten. Bei mir ist da nur Hass.
Sie selbst trauern um Valentyn Vozniuk, einen ihrer Mentoren. Er und seine Frau starben letztes Jahr bei einem Raketenangriff auf Dnipro.
Er war der Direktor meiner Sportschule. Er hat alle Kinder motiviert. Er hat mir die Leidenschaft für den Sport gezeigt und den weiteren Weg für meine Karriere geebnet. Mit ihm hat das alles angefangen. Wenn wir von einem Wettbewerb kamen, hat er immer eine Ehrenwand mit unseren Platzierungen aufgestellt. Wir wollen jetzt die nächste Generation inspirieren. Manche Kinder kommen zum Training, sind motiviert und müssen dann die ganze Zeit im Luftschutzbunker verbringen. Wir verlieren die nächste Generation. Ich kann jede Mutter verstehen, die ihr Kind nimmt und in ein anderes Land zieht.
INTERVIEW: N.-M. SCHMITZ