Goldene Erlösung

von Redaktion

Lukas Märtens erschwimmt die erste deutsche Medaille in Paris – dann bricht es aus ihm heraus

Lukas Märtens: Der schnellste Mann der Welt über 400 Meter Freistil und der erste männliche Olympiasieger seit Michael Groß 1988 © Nackstrand/AFP

Bei der Schwester flossen die Tränen zuerst. Leonie Märtens zitterte auf der Tribüne mit, wenig später brach es dann auch aus Lukas Märtens heraus, dem ersten deutschen Goldmedaillengewinner bei den Olympischen Spielen von Paris. Nach den 400 m Freistil lehnt er noch ungläubig am Beckenrand, schaute sich immer wieder umher, ehe die Siegerfaust kam. Ja, ich habe es tatsächlich geschafft. „Die ganzen Eindrücke haben mich übermannt. Ich habe angeschlagen, auf die Anzeigetafel geschaut und erst gedacht: Ne, das kann nicht sein.“

Der erste deutsche männliche Becken-Olympiasieger seit Michael Groß 1988, das erste deutsche Schwimm-Gold seit Britta Steffen 2008. Märtens hatte vor den Spielen angekündigt, dass er sich verantwortlich fühle, dem deutschen Team einen Boost mitzugeben. Und der 22-Jährige lieferte ab. Ein vom Start weg kontrolliertes Rennen, in 3:41,78 Minuten schlug er vor dem Australier Elijah Winnington und Kim Woomin aus Südkorea an. Die letzten Meter waren die schönsten und schlimmsten seines Lebens. Beim Rennen habe er gedacht, er schwimme gegen seine Trainingskollegen aus Magdeburg, die lautstarke Atmosphäre ausgeblendet. Viele hatten im Vorfeld damit gerechnet, dass der 15 Jahre alte Weltrekord von Paul Biedermann (3:40,07) geknackt wird, aber das war Märtens „scheißegal, ob der jetzt gefallen ist, oder nicht. Ich bin ganz oben und ich denke, das habe ich mir verdient.“

17 000 Fans, darunter auch viele deutsche, sorgten für ein Spektakel im umgebauten Rugbystadion La Defense. „Es war einfach geil, in dieser Halle einzulaufen.“ Bei der Nationalhymne pustete der Gold-Schwimmer immer wieder durch, bis die Augen rot wurden und Tränen kullerten. Der Magdeburger hatte in dieser Saison immer wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Mehrere Monate Training fehlten. Muss das alles in einem olympischen Jahr sein, fragte er sich.

„Ich hab vieles überwunden. Ich habe viele Höhen und Tiefen gehabt. Nach der Saison, nach den ganzen Strapazen, das war alles andere als abzusehen“, sagte Märtens: „Auch wenn die Vorleistungen dafür gesprochen haben, damit musst du erstmal umgehen, der Druck ist nicht ohne.“ Ein Beweis, wie sehr all das an ihm zehrte: Hinter der Tribüne musste sich Märtens übergeben.

Mama Anja konnte das famose Goldrennen vor lauter Aufregung auf der Tribüne kaum verfolgen. „Ich habe nicht hingeguckt“, sagte sie. Erst auf der Schlussbahn löste sie die Hände vor ihrem Gesicht. „Da ist mein Bruder aufgesprungen und ist ausgerastet, und dann habe ich hingeguckt.“ Sie sei gerührt und stolz, doch der Triumph ihres Sohnes fühle sich auch noch etwas unwirklich an. „Es geht mir wie dem Jungen, ich kann es nicht realisieren. Es ist nicht fassbar“, sagte die Mutter.

Die verdienten Lobgesänge gab es danach von allen Seiten. Isabel Gose, über 400 m Freistil in deutschem Rekord auf Platz fünf und Ex-Freundin von Märtens, sagte: „Er hat es sich so verdient. Er kann so stolz auf sich sein. Er macht im Training so krasse Sachen.“ Und dann weinte auch sie. „Ich bin sehr beeindruckt, wie Lukas dieses olympische Finale geschwommen ist. Cool, abgeklärt und souverän“, sagte Biedermann. Thomas Weikert, Boss vom Deutschen Olympischen Sportbund, sprach von einem „großartigen Auftakt in diese Olympischen Spiele. Lukas Märtens hat einen Wahnsinns-Kampf gezeigt, Glückwunsch zu dieser Leistung.“

Doch Zeit zum Feiern gab es für Märtens nicht. Nach einer kurzen Nacht – Aufstehen um 7 Uhr – war er am Sonntag ab 11 Uhr schon wieder über die 200 m Freistil gefordert und zog ins Halbfinale und am Abend ins Finale ein. „Das ist wirklich hammerhart. Ich muss jede Minute, jede Sekunde nutzen für die Regeneration.“ Märtens sagte, er wisse zwar, dass er jetzt Goldmedaillengewinner ist, aber so richtig etwas damit anfangen konnte er noch nicht. Dafür bleibt später genug Zeit. „Jetzt habe ich erstmal noch die ein oder andere Chance auf weiteres Edelmetall.“
NICO-MARIUS SCHMITZ

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