„Olympia ist Kopf“: Britta Steffen muss es wissen. © imago
Britta Steffen weiß, wie sich die großen Siege anfühlen. Aber die zweifache Olympia-Siegerin von 2008 kennt auch die Phasen, in denen es nicht so läuft. Die 40-Jährige, die seit einigen Wochen mit ihrem zweiten Sohn Lennox im Babyglück ist, spricht mit unserer Zeitung über Leitwolf Lukas Märtens und den Aufschwung der deutschen Schwimmer.
Britta Steffen, Lukas Märtens hat die erste Olympia-Goldmedaille für die deutschen Schwimmer seit Ihrem Peking-Triumph gewonnen. Was hat das für eine Bedeutung?
Es war total wichtig, dass mal wieder jemand gezeigt hat: Wir können es noch. Ich glaube, über die Jahre schwindet ein wenig das Selbstbewusstsein. Das war für das ganze Team ein Zeichen: Wir Deutschen können es genauso schaffen wie die Australier oder Amerikaner. Vielleicht nicht in der Breite, aber immer wieder mal mit Ausnahmeathleten. Lukas hat gezeigt, dass er nach ganz oben gehört. Ich glaube, das war für alle ein kleiner Befreiungsschlag.
Welche Erinnerungen haben Sie noch an Peking?
Was witzig war und was ich nur dort erlebt habe: Es gab so viele chinesische Helfer, dass sie an jeder Pflanze jemanden mit einem Geschirrtuch positioniert hatten, um die Blätter abzuwischen (lacht). Ich hatte dort ein sensationelles Wassergefühl. Ich war Mitte 20, ich wusste: Jetzt oder nie. Mit der 4x100m-Staffel im Kraulen sind wir am ersten Tag als Mitfavorit angetreten und nur Fünfter geworden. Da haben die Medien ganz schön auf uns eingehauen. Das war also ein schlechtes Vorzeichen. Der Teamspirit wurde von Tag zu Tag schlechter. Ich habe versucht, mich davon zu lösen und habe das ewig mit meiner Sportpsychologin durchexerziert. Bei Lukas habe ich gelesen, dass er auch bei niemandem mitschwimmen, sondern sein eigenes Ding durchziehen wollte. Dass das am Ende dann so von Erfolg gekrönt wird, ist natürlich mega cool. Ich glaube, Lukas kann sich unheimlich gut selbst programmieren. Das ist auch wichtig für den Nachwuchs: Man braucht nicht nur die Physis, sondern muss sich auch Gedanken machen, wie will ich an sowas rangehen? Olympia ist Kopf!
Über die 200 m hat Märtens das Rennen lange angeführt, am Ende wurde es ein fünfter Platz. War da zu Beginn des Rennens vielleicht noch zu viel Euphorie von der Goldmedaille?
Wenn du von 400 kommst, denkst du, die 200 stehst du auf jeden Fall. Man darf sich nicht dazu hinreißen lassen, davor hatte ich auch immer bange, es nur ein „My“ zu schnell anzugehen. Das kann dich auf den letzten Metern unheimlich viel kosten. Die meisten Rennen bei Olympia sind unfassbar eng gestrickt, zwischen Platz eins bis fünf liegt manchmal nur ein Wimpernschlag. Aber Lukas ist top drauf, die Taktik hätte auch genauso gut aufgehen können. Man kann nur den Hut ziehen. Was er da macht, ist große Klasse. Ich freue mich auch über den Mut. Paul (Biedermann, Anm. d. Red.) und ich waren ja immer Athleten, die eher defensiv geschwommen sind. Ich bin ganz begeistert von Lukas, auch nach diesem fünften Platz.
Auch abseits von der Goldmedaille gibt es in Paris viele starke deutsche Schwimmer, die in Finals einziehen. Erlebt das deutsche Schwimmen wieder einen Aufschwung?
Wir haben wieder ein paar Leute, die zu Großem bereit sind, absolut. Ich habe den Eindruck, dass es in Berlin und Magdeburg unheimlich starke Trainingsgruppen gibt. Ich habe selbst damals die Erfahrung gemacht, wenn du mit einer van Almsick und einem Spanneberg trainierst, die wissen, wo es langgeht, kannst du davon enorm profitieren. Auch ich habe zwei Olympische Spiele gebraucht, um die Erfahrung zu sammeln, und mich dann beim dritten Mal nicht von den Spielen erschlagen zu lassen. Solche erfolgreichen Generationen müssen sich über Jahre aufbauen. Da sind wir wieder auf einem sehr guten Weg.
Die Athleten loben auch immer die Teamchemie. Hat das auch Auswirkungen auf die Leistung?
Wenn Leute Ruhe ausstrahlen, werden Leute in der Umgebung auch ruhiger. Das ist bei einer Beziehung zwischen Mutter und Baby so, damit beschäftige ich mich gerade natürlich viel, und auch in einem Team. Wenn du dich davon mitziehen lässt, wie ein Leitwolf wie Lukas Märtens beispielsweise, reagiert und er ruhig und entspannt ist, kann das auf das ganze Team positiv abfärben.
Sie arbeiten auch als Laufbahnberaterin am Olympiastützpunkt Berlin. Wie sehen Sie den Leistungssport in Deutschland?
Es muss wieder mehr um Leistung gehen im Sport und diese Leistung muss auch entsprechend honoriert werden. Leistung muss als Wert wieder mehr in Deutschland ankommen. Beim Schwimmen bist du schnell am Existenzminium, wenn du nicht super erfolgreich bist. Da könnten wir uns beispielsweise an Australien oder den USA ein gutes Beispiel nehmen – da wird man zudem finanziell ganz anders unterstützt. Unseren Sportlern dürften auch keine Nachteile in der Ausbildung und im Studium entstehen, sie müssten mehr gefördert werden.
INTERVIEW: NICO-M. SCHMITZ