Edelfan: Rapper Snoop Dogg schaute zu. © Guez/AFP
Eine Sekunde geschlafen und schon zerplatzte der Medaillentraum von Anna-Maria Wagner. © DPA/Schuldt
Der Urschrei auf dem Weg zur Matte, das Trommeln auf die Brust, der Blick und der Fingerzeig gen Himmel. Die Rituale waren dieselben bei Anna-Maria Wagner, aber es lief nicht mehr. Die Spannung war zu greifen, aber die Gegnerinnen nicht mehr. Die amtierende Weltmeisterin verlor im Kampf um Bronze gegen die frühere Vize-Weltmeisterin Ma Zhenzhao aus China per Ippon im Golden Score.
Und musste in der Mixed Zone vor der ersten Antwort erst mal tief durchatmen, die Augen glänzten von den Tränen. „Es ist einfach nur total bitter. Ich habe so einen starken Vormittag hingelegt, ich habe mich sehr stark gefühlt.“ Und dann folgte am Nachmittag die Niederlage gegen Inbar Lanir aus Israel. „Mir ist der Switch sofort gelungen, ich habe meinen Kopf umgestellt.“ Abhaken, weiter geht´s, die Medaillenchance ist noch da. Doch dann war es eine Sekunde, die Wagner nicht aufpasste. Eine Sekunde, die sie zu lange an einem Ort stand. „Sie hat mich überrascht. Da ist Judo knallhart, sie hat mich erwischt, und dann ist der Kampf vorbei.“
Bei den Spielen von Tokio gewann die 28-Jährige zweimal Bronze, fiel danach in ein Loch. Erschlagen von der intensiven Vorbereitung, von all dem, was man in eine Teilnahme an den Olympischen Spielen steckt. Unserer Zeitung sagte sie, sie habe die Freude am Judo zwischenzeitlich komplett verloren, sich nach und nach wieder dazu aufgerappelt, unter Leute zu gehen. Wagner kämpfte sich zurück, bis zum Weltmeisterschafts-Gold in diesem Jahr. Und dann die große Ehre, gemeinsam mit Dennis Schröder als Fahnenträgerin über die Seine zu fahren, Team Deutschland bei der Eröffnungsfeier anzuführen. Zu viel Trubel? „Das war eine ganz tolle Ehre. Aber direkt danach habe ich einen Cut gemacht und mich fokussiert. Ich bin hier nicht als Fahnenträgerin auf die Matte, sondern als Anna-Maria Wagner, die eine Medaille will.“ Aber manchmal reicht der Wille eben nicht.
Der Judo-Anzug soll erst mal in den Schrank
Im Halbfinale wollte sie Lanir erst mal kommen lassen, den Kampf von hinten raus entscheiden. Aber die Taktik ging nicht auf. Und dann gab es eben diese eine bittere Sekunde, die den Medaillentraum endgültig zerschellen ließ. An Los Angeles 2028 wollte Wagner nicht denken, am liebsten nicht mal an das Wochenende. Dann stehen die Team-Wettbewerbe im Judo an, es gibt noch eine Chance auf Edelmetall. „Heute bin ich noch nicht bereit. Aber ab morgen Abend werde ich bereit sein.“
Noch einmal alles reinlegen. Noch einmal fokussieren. Noch einmal brüllen, auf die Brust trommeln und nach oben schauen. Und das leicht verletzte Knie ausblenden. Und dann will Wagner von der Matte erstmal nichts mehr wissen. „Gerade sitzt der Schmerz tief“, sagte sie: „Die Kämpfe werden mich sehr lange noch beschäftigen. Ich werde dieses Jahr auf jeden Fall keinen Judoanzug mehr anziehen, ich lasse es erst mal. Die letzten drei Jahre waren brutal.“
NICO-MARIUS SCHMITZ