„Danach interessiert sich wieder keiner“

von Redaktion

Bahnrad-Star Emma Hinze über Oberflächlichkeit, Grenzen und Trainer & Freund Max Levy

Emma Hinze mit Freund und Trainer Max Levy. © IMAGO/Mausolf

Achtfache Weltmeisterin, Silbermedaillengewinnerin von Tokio, Weltrekord im Teamsprint. Von Bahnrad-Ass Emma Hinze werden Medaillen erwartet. Im Interview mit unserer Zeitung erzählt die 26-Jährige, warum sie das oberflächlich findet, wie sie mit Signalen ihres Körpers umgeht und wie wichtig Trainer und Freund Max Levy ist.

Emma Hinze, was haben Sie für Erinnerungen an die letzten Spiele?

In Rio hatte ich gar keinen Stress, es war super schön, im Olympischen Dorf zu wohnen. In Tokio war das Drumherum aufgrund der Corona-Regeln schon enttäuschend. Wir haben nicht im Dorf gewohnt, durften das Gelände nicht verlassen, wir wurden sogar mit einer App getrackt. Wenn ich daran zurückdenke, finde ich das ganz schön krass. Ich bin stolz, eine Medaille gewonnen zu haben. Dahin zu kommen ist nicht selbstverständlich, das ist harte Arbeit.

Sportarten wie Bahnrad stehte bei Olympia im Rampenlicht, auch aufgrund der Medaillenchancen. Wie gehen Sie damit um?

Olympia hat in der Gesellschaft eine große Bedeutung und medial eine große Präsenz. Es geht aber oft nur um die Leistung, nicht um den Menschen dahinter. Es wird oft oberflächlich berichtet. Jetzt bei den Wettkämpfen zählt nur die Medaille, aber danach interessiert sich wieder vier Jahre keiner dafür, wie es mir geht oder was ich für eine Meinung habe. Man merkt, dass viele bei Olympia einfach auf das Boot aufspringen. Mich würde es freuen, wenn die Begeisterung nachhaltiger ist.

Mussten Sie selbst lernen, sich nicht nur über Ergebnisse und Medaillen, wie die Öffentlichkeit es gerne macht, zu definieren?

In Deutschland wird oft eher das Negative gesehen, anstatt sich freuen. Irgendwas wird immer kritisiert, auch wenn man auf dem Podest landet. Ich habe gelernt, mich unabhängig von meinen sportlichen Leistungen zu mögen. Im Sport ist es so, dass man immer Topleistungen bringen muss, um ein gutes Gefühl zu haben. Im echten Leben ist es aber ungesund, wenn man nur noch so denkt.

Im Leistungssport muss man über die Grenze gehen. Nach der EM in München haben Sie gesagt, dass Sie toleranter mit sich umgehen wollen. Ist das gelungen?

Prinzipiell ist das sehr schwierig. Man ignoriert die Signale seines Körpers, um noch besser zu werden. Eine Zeit lang geht das gut, aber eben nicht für immer. Ein bisschen hat sich geändert. In München habe ich mich richtig fertig gemacht, um dreimal zu gewinnen. Ich bin über jede Grenze gegangen, um alles aus mir rauszuholen. Danach ging es mir echt schlecht. Ich trainiere immer noch am Limit und mute meinem Körper viel zu. Aber ich gehe mittlerweile anders mit solchen Situationen um und nehme mir Pausen, wenn ich sie brauche.

Ihr Freund und Trainer Max Levy hat zuletzt gesagt, dass es keine Feiertage und Geburtstage mehr gibt, die einzige Priorität heißt Olympia.

Das geht eigentlich die letzten zehn Jahre so, dass ich keine Zeit für Geburtstage habe. Ich habe dadurch viel verpasst. Vor Olympia ist es noch mal intensiver und man nimmt es für das große Ziel in Kauf. Nach Olympia will ich aber wieder mehr Zeit haben, zum Beispiel für den Geburtstag meiner Oma und nicht zum neunten Mal wegbleiben, weil ich wieder zu einem Wettkampf muss.

Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit Max für Ihre Weiterentwicklung?

Max hat eine andere Philosophie, wir haben die Trainingsinhalte umgestellt, der Schwerpunkt lag sehr auf dem Krafttraining. Da habe ich mich innerhalb von einem Jahr super weiterentwickelt. Er hat ein starkes Mindset, was er mir vermittelt in puncto Energie und Durchhaltevermögen. Er erzählt mir Geschichten von früher oder zeigt mir einen Lauf, den er gefahren ist. Das gibt mir super viel.

Sie hatten einen Wettkampf in Paris, bei dem die französische Konkurrentin so laut angefeuert wurde, dass es die Konzentration gestört hat. Haben Sie sich darauf vorbereitet?

Ich weiß jetzt, wie sich das anfühlt. Ich habe im Vorfeld im Training viel mit Lautstärke ausprobiert und getestet und habe mich mental darauf eingestellt, dass es eintreten kann. Ich glaube aber, dass das Publikum jetzt internationaler sein wird.

Mit dem Team haben Sie abgeräumt, Weltrekorde aufgestellt. Wie schaffen Sie es, die Spannung hochzuhalten?

Es macht uns einfach Spaß, zusammenzufahren. Wir haben eine ganz bestimmte Energie vor dem Start, die man spüren kann. Wir stehen nicht auf und fragen uns, warum wir das noch machen. Es ist das, was wir machen wollen. Jeder erwartet von uns die Goldmedaille und natürlich ist das auch unser Ziel. Aber wir haben schon so viel gewonnen, das sollte man nicht vergessen und wertschätzen.


INTERVIEW:

NICO-MARIUS SCHMITZ

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