Das Gesicht der deutschen Leichtathletik: Strahlemann Leo Neugebauer. © IMAGO
Leo litt. Es hätte einen Wunderlauf über die 1500 Meter gebraucht. Aber nach neun Disziplinen bewegen sich 110 Kilo nun mal nicht mehr so geschmeidig. Es war nicht die erwartete Gold-Show von Leo Neugebauer im Stade de France. Aber damit wollte der Zehnkämpfer sich gar nicht beschäftigen. Er strahlte. „Eine Silbermedaille mitnehmen zu dürfen, ist mir eine Ehre. Ich bin so happy und sehr stolz.“
28 Jahre nach dem Coup von Frank Busemann wieder ein Erfolg für Deutschland. Nach den ersten fünf Disziplinen lag Neugebauer auf Gold-Kurs, aber am zweiten Tag blieb er in zu vielen Disziplinen unter seiner Bestleistung. „Es gibt immer Höhen und Tiefen“, sagte Neugebauer. Fast nur Höhen gab es hingegen für den Norweger Markus Rooth (8796 Punkte), der über sich hinauswuchs und 48 Zähler vor dem großen Favoriten landete.
Auch 2023 überragte Neugebauer früh im Jahr, stellte einen deutschen Rekord auf und konnte bei der Weltmeisterschaft in Budapest dann nicht an diese Leistung anknüpfen. 2024 verbesserte der 24-Jährige seinen Rekord auf 8961 Punkte, die beste Leistung des Jahres war leider nicht für den Höhepunkt in Paris bestimmt. „Wenn man sieht, was der noch draufhat“, schrieb Busemann in seiner Sportschau-Kolumne, werden die deutschen Fans noch viel „Spaß mit ihm haben“.
Neugebauer bleibt nach seinem abgeschlossenen Studium in Austin, kann weiter die auf die bestmöglichen Trainingsbedingungen am College zurückgreifen. Siege im Zehnkampf werden in den kommenden Jahren nur über ihn gehen.
Das neue Gesicht der deutschen Leichtathletik brachte auch in Paris das Stadion wieder zur Ekstase, schoss fleißig Selfies, umarmte Mama Diana und Papa Terrence. „Die Stimmung war einfach verrückt dort und einfach diesen Wettkampf machen zu dürfen – das war sehr, sehr cool. Es war mir eine Ehre.“ So richtig feiern konnte er die Silber-Medaille am Abend noch nicht. „Ich war nur ein bisschen am Handy, habe was gegessen und bin dann eingeschlafen“, erzählte er am Tag danach im Deutschen Haus: „Ich muss die ganzen Eindrücke erst verarbeiten. Ich werde es erst realisieren, wenn ich die Medaille später bekomme, weil ich dann auch was anschauen kann und sagen kann: Wow, das habe ich echt gemacht. Das gehört jetzt mir.“
Auch Niklas Kaul konnte sich mit einem starken zweiten Tag mit Paris versöhnen, am Ende landete er auf dem achten Platz. Nach dem Start war bei ihm das „mentale Kartenhaus“ zusammengestürzt, Tränen kullerten. Nach den quälenden 1500 Metern war er dann der erste Gratulant von Neugebauer: „Das zeichnet große Zehnkämpfer aus, dass sie das in dem richtigen Moment dann auch hinbekommen. Und das hat er gemacht und er hat dem Druck des Führenden an Tag eins standgehalten.“
Nächstes Jahr steht die Weltmeisterschaft in Japan an. Neugebauer will seine Lehren aus Paris ziehen und dann wieder neu angreifen. Wer in Tokio gewinnen möchte, muss also erst an Leo vorbei.
N. SCHMITZ