„Einfach nur bemitleidenswert“

von Redaktion

Der homosexuelle Judoka Cavelius über die bunten Spiele und den Aufschrei

Will seine Geschichte erzählen: Timo Cavelius. © IMAGO

Sorgte für Aufsehen: Die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele. © Olympics Paris 2024

2015 hatte Timo Cavelius sein Outing, er gehört damit zu den wenigen Leistungssportlern, die offen zu ihrer Homosexualität stehen. Im Interview mit unserer Zeitung spricht der Judoka über die Vorbildrolle von Sport und seine Erfahrungen von Paris.

Timo Cavelius, wie sind die Olympischen Spiele aus Ihrer Sicht verlaufen?

Ich wollte mit einer Medaille nach Hause fahren, das hat im Einzelwettbewerb und Team nicht geklappt. Sportlich bin ich also hinter meinen Erwartungen geblieben. Aber es hat trotzdem richtig Spaß gemacht, auf der Matte zu stehen und den olympischen Geist und die Atmosphäre zu erleben. Das französische und das internationale Publikum geht sehr fair und sportlich mit den Athleten um. Das hat man auch bei Uta Abe gesehen. Sie verlor als amtierende Olympiasiegerin ihren Kampf und ist dann zusammengebrochen. Das Publikum hat anschließend ihren Namen skandiert und versucht sie mit Applaus aufzubauen.

2015 hatten Sie Ihr Outing, Sie gehören damit zu wenigen Leistungssportlern, die offen zu ihrer Homosexualität stehen. Haben Sie aus dem Outing Stärke gezogen?

Das ist ein Zeichen von Stärke, wenn man zu sich selbst stehen kann. Ein Versteckspiel raubt viel Energie und diese Energie brauchen wir ja im Leistungssport, sonst kann man gar nicht diese hohen Belastungen aushalten. Als Sportler muss man offen und frei vom Kopf sein.

Hatten Sie Angst vor den Reaktionen aus der Sportwelt?

Bei der Sportwelt war es mir relativ egal, in meiner Trainingsgruppe und der Nationalmannschaft war es mir wichtig, weiter anerkannt zu sein. Ich habe mir unnötig Sorgen gemacht, ich habe mich als Person ja nicht verändert. Bei den Leuten, bei denen ich am ehesten dachte, es könnte Probleme geben, sind am besten damit umgegangen. Im Sport ist das immer noch ein sehr großes Tabuthema. Man will als Sportler eine gewisse Stärke und Männlichkeit verkörpern. Wir sind alles Testosteron gesteuerte Wesen, da will sich niemand angreifbar machen. Wenn Leute aus dem Leistungssport sich outen, wird das hoffentlich auch im Breitensport und Nachwuchsbereich immer akzeptierter werden. Denn, wie gesagt: Ein Outing ändert ja nichts an dem Menschen. Es geht im Sport um Erfolg. Nicht darum, wen man liebt.

Die Spiele in Paris werden als sehr offene Spiele wahrgenommen. Sehen Sie das auch so?

In der Eröffnungsfeier hat man schon gesehen, dass die Spiele für Diversität stehen. Es sind bunte Spiele. Wir sind mitten in Europa, für uns besteht hier keine Gefahr, offen zu unserer Sexualität zu stehen. In anderen Ländern, in denen Homosexualität noch unter Frage steht, könnten die Spiele eben nicht so bunt sein wie jetzt in Paris.

Es gibt immer noch einen Aufschrei, wenn etwas bunt und queer ist. So auch nach der Eröffnungsfeier. Stört Sie das?

Es muss irgendwelche Triggerpunkte für diese Menschen geben, warum sie damit Probleme haben. Vielleicht verleitet oft eine gewisse Unsicherheit zu solchen Aussagen. Wenn solche Aussagen aus meinem engsten Freundes- und Familienkreis kommen würden, dann wäre das was anderes. Aber wenn irgendein Prolet sich abwertend äußern möchte, wen interessiert das? Wenn er sich sein eigenes Leben schönreden möchte, in dem er versucht, andere fertig zu machen, ist das einfach nur bemitleidenswert.

Hoffen Sie, mit Ihrem Outing auch ein Vorbild für andere Sportler sein zu können?

Ich nehme eine gewisse Vorbildfunktion ein. Das ist mir erst mit der Olympia-Qualifikation richtig bewusst geworden, dass viele darauf schauen und es viele mitbekommen. Ich versuche bestmöglich, für das Thema einzustehen und für das Thema da zu sein. Ich will ein Sprachrohr der Unterdrückten sein. Ich habe eben diese Bühne. Ich versuche diesen Mut an andere Leute, die noch unsicher sind, zu transportieren, in dem ich meine Geschichte erzähle.


INTERVIEW: N. SCHMITZ

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