„Auch Deutschland könnte eine Simone Biles haben“

von Redaktion

Ex-DFB-Manager Oliver Bierhoff über Förderung und Vermarktung olympischer Sportarten

Persönliche Marke: Alica Schmidt. © dpa/Michael Kappeler

Über Fußball hinaus interessiert: Bierhoff beim CHIO. © IMAGO

Große Karriere auch dank des amerikanischen Sportsystems: Turnerin Simone Biles. © dpa/Charlie Riedel

Er war Fußballstar, Manager der Nationalmannschaft, Direktor beim DFB, heute berät er die New England Patriots aus der NFL. Doch Oliver Bierhoff richtet seinen Blick auf den Sport im Allgemeinen – besonders unter dem Blick der Vermarktbarkeit.

Herr Bierhoff, wie viel ist eine Goldmedaille aus Marketingsicht wert?

Aus Marketingsicht hat eine Goldmedaille für die Athleten einen hohen Wert. Die Olympischen Spiele sorgen für eine hohe Wahrnehmung der Gewinner bei den Zuschauern. Der Wert hängt natürlich stark von der Popularität der Sportart und dem Bekanntheitsgrad des Athleten ab. Top-Athleten in populären Sportarten wie Leichtathletik oder Schwimmen können Millionenbeträge durch Werbeverträge und Sponsoring verdienen, vor allem wenn sie international wahrgenommen werden. Sportler wie Usain Bolt und Michael Phelps haben nach ihren Olympiasiegen beträchtliche Summen durch Sponsoring und Werbeverträge erzielt.

Wie gut kann man einen Olympia-Erfolg vermarkten?

Der Schlüssel liegt darin, den Moment des Erfolgs zu nutzen und kontinuierlich in der Öffentlichkeit präsent zu bleiben, um die Aufmerksamkeit und das Interesse aufrechtzuerhalten. Dabei ist auch eine starke Präsenz in den sozialen Medien und ein Storytelling heute unerlässlich, um mit seinen Fans, aber auch interessierten Sponsoren zu kommunizieren und eine persönliche Verbindung aufzubauen. Leider passiert es sehr oft, dass schon kurz nach den Olympischen Spielen nicht mehr über die Sportart berichtet wird. Athleten wie Alica Schmidt und Leo Neugebauer schaffen es sehr gut, ihre persönliche Marke zu stärken.

Was können Bogenschießen oder Kanu machen, um nach Olympia im Rampenlicht zu bleiben?

Das ist eine Frage, mit der sich fast alle olympischen Sportarten in Deutschland befassen.. Auch für „etabliertere“ Sportarten wie Handball oder Eishockey ist dies eine große Herausforderung. Um als Sportart wie Bogenschießen oder Kanu im Rampenlicht zu bleiben, ist es unabdingbar, „Persönlichkeiten“ zu haben, die den Sport erfolgreich nach außen präsentieren. Man darf da wieder Alica Schmidt und Leo Neugebauer nennen, die sich selbst und auch ihren Sport immer wieder ins Rampenlicht bringen.

Die finanzielle Kluft von den absoluten Top-Stars der Olympischen Spiele zu den weniger bekannten Teilnehmern ist riesig. Ist das fair? Wie kann man diese Lücke schließen?

Die finanzielle Kluft zwischen Top-Stars und weniger bekannten Teilnehmern ist ein komplexes Problem. Es ist teilweise unvermeidlich, da viele Athleten aufgrund ihrer Bekanntheit und ihrer Sportart unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. NBA-Profis wie LeBron James oder Steph Curry verdienen als NBA-Stars über 100 Millionen US-Dollar pro Jahr. An derartige Summen kommt kaum ein Athlet bei Olympia auch nur ansatzweise heran. Das hat nicht nur mit ihrer weltweiten Bekanntheit und ihren Sponsoren zu tun, sondern auch mit der Liga, in der sie spielen. Als eine der umsatzstärksten Sportligen der Welt verfügt die NBA über andere wirtschaftliche Voraussetzungen als beispielsweise eine europäische Volleyballliga. Das wirkt sich auch stark auf die Gehälter der Spieler aus.

Machen Überlegungen wie ein Solidaritätsfonds von TV- & werbeattraktiven Sportarten zu Gunsten der Randsportarten Sinn?

Vorab möchte ich mal sagen, dass wir als ein starkes Industrieland viel zu wenig in den Sport und für die Leistungssportler investieren. Das ist nicht nur eine Aufgabe des Staates. Ich glaube, dass eine Großzahl von Medaillengewinnern aus verschiedenen Ländern von US-Colleges kommen. Aber zu der Frage: Überlegungen zu einem Solidaritätsfonds, bei dem TV- und werbeattraktive Sportarten zugunsten von Randsportarten beitragen, können eine sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden Modellen darstellen.

Wie kann man es schaffen, in die Weltspitze zu gelangen, obwohl man rein von den Professionalisierungsmaßnahmen gegenüber anderen Ländern deutlich unterlegen ist?

Ein zentraler Aspekt ist die frühzeitige Identifikation und Förderung von Talenten. Durch gezielte Talentsichtungsprogramme können vielversprechende Athletinnen und Athleten individuell gefördert werden. Und alle, die Politik, Wirtschaft und die Gesellschaft müssen diese jungen Athleten unterstützen. Zudem kann die Zusammenarbeit mit Universitäten und Forschungseinrichtungen eine wissenschaftliche Unterstützung bieten, um Trainingsmethoden zu optimieren und neue Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen.

In Amerika werden Superstars wie die Turnerin Simone Biles geschaffen. Wäre das in Deutschland auch möglich?

Deutschland ist durchaus in der Lage, eigene Sporthelden wie Simone Biles zu kreieren. Die Voraussetzungen dafür sind vorhanden, aber nicht so ausgeprägt wie in den USA. Durch die Kombination von frühzeitiger Talentförderung, hochwertiger Trainingsinfrastruktur, finanzieller Unterstützung und mentaler Begleitung können auch in Deutschland Sportstars von internationalem Format heranwachsen. Doch es ist kein Geheimnis, dass das Sportsystem in den USA deutlich weiterentwickelt ist als hier in Deutschland.

Welche Vorteile hat das US-College-gegenüber dem deutschen Fördersystem?

Ein wesentlicher Vorteil ist die nahtlose Integration von akademischer Ausbildung und sportlicher Förderung. Zudem bieten vielen US-Hochschulen optimale Trainingsanlagen, hochqualifizierte Trainer und medizinische Betreuung, die speziell auf die Athleten abgestimmt sind. Dazu erhalten die Studenten eine qualitativ hochwertige akademische Ausbildung, die ihnen eine berufliche Perspektive nach ihrer Sportkarriere bietet. Ein weiterer Vorteil ist die finanzielle Unterstützung, die durch Sportstipendien bereitgestellt wird. Diese Stipendien decken oft Studiengebühren, Unterkunft, Verpflegung und andere Lebenshaltungskosten ab, was es den Athleten ermöglicht, sich voll auf ihre sportliche Entwicklung zu konzentrieren, ohne sich um finanzielle Belastungen sorgen zu müssen.

Artikel 1 von 11