„Es muss sich was ändern“

von Redaktion

Lange über Olympia-Lehren, versuchtes Wasser und den Ironman Frankfurt

Im Fokus: Das Schwimmen in der Seine. © Kappeler/dpa

Zweifacher Hawaii-Champion: Patrick Lange. © dpa/Arnold

Ironman in Frankfurt: Patrick Lange startet am Sonntag mit der Nummer 1 und will sein Heim-Rennen endlich gewinnen. © Imago/Huebner

Patrick Lange (37) geht beim Ironman Frankfurt (Sonntag 6.25 Uhr) mit der Startnummer 1 ins Rennen. Im Interview mit unserer Zeitung spricht der gebürtige Hesse über die Sehnsucht in seiner hessischen Heimat zu gewinnen, seine Erfahrungen beim Schwimmen im verschmutzten Wasser und die Olympia-Lehren, die Deutschland ziehen sollte.

Bei ihrem letzten Wettkampf in Roth sind Sie verletzt ausgeschieden. Was ist vor zwei Monaten genau passiert?

Ich bin nach 100, 150 Meter beim Schwimmstart in eine Schlägerei verwickelt worden. Vor mir sind alle auf eine Seite gezogen, als ich von meinem Vordermann einen heftigen Tritt in die Rippe bekommen habe. Es ist völlig normal, im Wettkampf in solch eine Situation zu kommen, aber in der Intensität habe ich das noch nicht erlebt. Ich konnte nicht mehr atmen. Da ich noch nie eine Rippe gebrochen hatte, habe ich sofort den Entschluss gezogen, auszusteigen. Mein Physiotherapeut hat dann schnell festgestellt hat, dass drei Rippenwirbel ausgerenkt waren. Die Schmerzen waren heftig.

Auch die Olympischen Triathlon-Wettbewerbe waren fast von tumultartigen Szenen im Wasser begleitet. Muss das wirklich so sein?

Vor allem in der Passage gegen den Strom ist es zu Stauungen gekommen. Die Leistungsdichte ist größer geworden, deshalb sind die Abstände kleiner. Es gibt Triathleten, die einen weiteren Bogen um eine Boje nehmen, aber in der Regel wollen die meisten den kürzesten Weg, deshalb muss es aber nicht zu Tumulten kommen. Ich würde nicht als Erster jemand am Fuß ziehen oder an der Schulter wegdrücken, aber ich weiß mich auch zu verteidigen. Im Altersklassenbereich gibt es deshalb ja keinen Massenstart mehr, sondern den rollierenden Start, um genau dieses Problem zu bekämpfen.

Die Wasserqualität der Seine war in aller Munde. Sind Sie auch schon mal in verschmutzten Gewässern geschwommen?

Natürlich sind die Bilder für den Triathlon wertvoll, in der Seine zu schwimmen, mit dem Rad auf das Kopfsteinpflaster auf die Champs-Elysees zu fahren und vor dem Eifelturm zu laufen, aber die Gesundheit muss für die Athleten immer an erster Stelle stehen. Ich hatte auch schon mal mit verseuchtem Wasser zu kämpfen. Bei den Militär-Weltspielen hatte ich mal einen Triathlon in Mumbai in Indien, wo danach drei Viertel des Starterfelds mit Magen-Darm-Problemen zu kämpfen hatte. Ich bin damals mit zusammengekniffenem Mund geschwommen, so eklig war das.

Sie leben seit einigen Jahren in Salzburg. Ist Frankfurt für Sie wirklich noch ein Heimrennen?

Selbst wenn mein Bett in Österreich steht, bin ich doch im Herzen weiter ein Hesse! Hier habe ich 30 Jahre meines Lebens verbracht. In der Uniklinik Friedrichsheim habe ich meine Ausbildung zum Physiotherapeuten gemacht und lange in Darmstadt gewohnt. Meine Familie lebt in Bad Wildungen, meine Schwiegereltern wohnen in Bad Homburg. Daher ist der Ironman Frankfurt auch wie ein Nachhausekommen. Ich bin heiß wie Frittenfett, das erste Mal in der Heimat den Titel zu holen (lacht).

Sie hatten sich für Roth vorgenommen, mit einem Spezialschuh den Marathon unter 2:30 Stunden zu laufen. Ist das auch in Frankfurt auf der Laufstrecke mit den Brücken über den Main möglich?

Es ist einer meiner verbleibenden Träume, bei einer Langdistanz diese 2:30 zu knacken. Ich bezweifele auch ein bisschen, ob das in Frankfurt umzusetzen ist, aber ich werde das auf jeden Fall versuchen und den neuen Schuh auspacken. Das Rennen ist extrem gut besetzt und wird einem alles abverlangen. Dass einer wie Kristian Blummenfelt startet, ist natürlich hochinteressant.

Sie sind der letzte Aktive aus der Generation Frodeno und Kienle. Zuletzt waren Sie lächelnd mit ihrem früheren Rivalen Kienle zu sehen. Sind Sie doch noch Freunde geworden?

Es ist mir eine Motivation, der ‚Last Man Standing‘ zu sein. Was ‚Sebi‘ angeht: Wir haben uns in den letzten Jahren wieder angenähert und ausgesprochen. Irgendwann muss die Vergangenheit mal abgehakt sein. Dass er mittlerweile nicht mehr aktiv ist, hat sicher auch zur Entspannung beigetragen (lacht).

Sie haben einst mit einer Zeit von 7:52:39 Stunden erstmals die Acht-Stunden-Marke auf Hawaii durchbrochen. Inzwischen sind ihre Nachfolger noch deutlich schneller unterwegs.

Ich kann mir das nur damit erklären, dass die Leistungsdichte größer geworden ist und wir in allen Sportarten einen technologischen Fortschritt erreicht haben. Das Training ist wissenschaftlicher geworden, auch beim Equipment und bei der Ernährung hat sich viel getan. An manche Veränderung musste ich mich auch erst vorsichtig herantasten. Bei meinen Hawaii-Siegen 2017 und 2018 habe ich mich mit 50 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde verpflegt, heute reden wir locker von einer Aufnahme von 100 oder 120 Gramm. Das ist das doppelte an Energiezufuhr! Daran muss man den Magen ja erst gewöhnen.

Die Medaillenbilanz bei Olympia hat die geringste Ausbeute seit 1952 hervorgebracht. Muss man sich grundsätzlich über die Sportnation Deutschland Gedanken machen?

Es muss sich was ändern! Wir können nicht alle vier Jahre auf den Medaillenspiegel schauen und jedes Mal konstatieren, dass es abwärtsgeht. Keiner packt das Problem mal an – und das regt mich auch ein bisschen auf, dass der Sport gesellschaftlich immer mehr an Wert zu verlieren scheint. Wir brauchen uns doch nur anzuschauen, welche Bedeutung der Sportunterricht in Schulen hat. Es ist das Fach, das am wenigsten wichtig scheint und oft als erstes ausfällt. Häufig ist die schon die Sporthalle marode, fehlt es an der Ausstattung. Dazu besteht in vielen Vereinen ein Mangel von Ehrenamtlichen, deren Tätigkeit mitunter undankbar geworden ist. Immer mehr Schwimmbäder werden geschlossen. Warum schauen wir uns nicht von den USA ab, was sie im Spitzensport besser machen – viele Topathleten aus aller Welt trainieren und leben dort, weil das College-System ihnen beste Bedingungen für Weltklasseleistungen bietet.


INTERVIEW: FRANK HELLMANN

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