Erschreckender Start: Vorletzter Platz – das hatten sich Sportchef Werner und Trainer Giannikis (r.) anders vorgestellt. © Sampics
Gewitterstimmung: Nicht nur zwischen 1860-Präsident Robert Reisinger (r.) und Mitgesellschafter Hasan Ismaik herrscht Streit, der ganze Verein ist tief gepalten. © IMAGO
Wird bei 1860 gerade eine weitere Fan-Generation verschlissen? Ex-Aufsichtsrat Christian Ude hält die ewige Debatte über einen Ausbau des Grünwalder Stadions für wenig zielführend. © IMAGO
München – Tiefblaues Meer statt weißblaue Löwen-Misere. Christian Ude schippert mit dem Segelschiff in der türkischen Ägäis, als ihn der Anruf unserer Zeitung erreicht. Gerade war der Alt-OB und Ex-Aufsichtsrat des TSV 1860 schwimmen, jetzt switcht der 76-Jährige wie auf Knopfdruck um. Seine Distanz zum Giesinger Kultclub, dessen Geschicke er lange mitbestimmte (1996 bis 2009), ist größer geworden, nicht nur räumlich – trotzdem oder gerade deswegen nimmt Ude kein Blatt vor den Mund, als wir ihn zu akuten 1860-Themen wie Ligastart, Stadion und Gesellschafterstreit befragen.
Herr Ude, könnten Sie aus dem Stegreif sagen, wo 1860 in welcher Liga auf welchem Platz steht?
Den Platz nicht, die Liga leider schon (lacht). Aber ich bin nie ein, sagen wir mal, Follower of football gewesen, sondern habe mehr aus Gründen des Pluralismus in München gesagt: Der schwächere Verein muss auch unterstützt werden.
Ist das Grundübel der Löwen der tiefe Spalt, der sich durch den Verein zieht?
Ja, leider. Es gibt die Spaltung der Fangruppen, die Spaltung des Gesellschafterkreises und auch die Spaltung von Mitgliedern verschiedener Gruppierungen, die sich mehr voneinander unterscheiden als vom fußballerischen Stadtrivalen, den man völlig aus den Augen verloren hat.
Gespalten sind die Fans ja auch in der Stadionfrage. Die einen wollen auf Gedeih und Verderb in Giesing bleiben, die anderen streben einen Stadion-Neubau an. Wo stehen Sie in dieser Debatte?
Ich bin ein Freund realistischer Lösungen, die auch machbar sind, ohne noch eine Generation von Fans sinnlos zu verschleißen. Das gilt auch für die Illusion eines völlig neuen Stadions. Motto: Wenn ich mir keine Studentenwohnung zur Miete leisten kann, dann baue ich mir halt selber ein Schloss.
Vor drei Jahren beschloss der Stadtrat den zweitligatauglichen Umbau des Grünwalder Stadions, 77 Millionen Euro wurden damals veranschlagt. Viel ist seither nicht passiert.
Kennen Sie jemanden, der 77 Millionen auf der hohen Kante hat? Die Forderungen an die Stadt müssen auch realistisch und mehrheitsfähig sein.
Was wäre für Sie eine zeitnah umsetzbare Möglichkeit mit Blick auf das Grünwalder Stadion?
Zur realistischen Lösung gehört, dass sich ein Fußballverein an erster Stelle mit seinem fußballerischen Erfolg beschäftigt. Ich habe mich als Oberbürgermeister, dessen Herz durchaus für die Löwen geschlagen hat, 20 Jahre lang mit utopischen Forderungen herumschlagen müssen. Und jetzt habe ich schon wieder über zehn weitere Jahre der gescheiterten Utopien erlebt. Ich finde, dass irgendwann mal die Stunde der Realisten schlagen sollte.
Auf gut Deutsch: Die sollen sich erstmal darum kümmern, das Schiff sportlich flott zu bekommen…
Ja, natürlich. Stadionfragen treten immer auf, wenn das bisherige Stadion für den Erfolg des Vereins zu klein geworden ist und nicht, wenn jede Variante viel zu groß ist für das, was man mit Leben füllen kann.
Dann können wir es jetzt verraten: Die Löwen sind nach zwei Spieltagen Vorletzter in der 3. Liga.
Mhm. Sie sehen, ich bin schon so abgeschlafft, dass ich das nicht mehr in jedem Detail zur Kenntnis nehme.
Wie würden Sie den Zustand des Grünwalder Stadions beschreiben?
Die Löwen waren nie wegen eines fantastischen Zustands der Immobilie glücklich, sondern wegen der Stimmung bei den Spielen und der Erfolge auf dem Feld. Da war dann auch der Zustand der Wände, der Toiletten und der Bewirtschaftungsräume uninteressant.
Kann man sagen, dass der Zustand des Stadions in etwa dem gefühlten Zustand des gesamten Vereins, zumindest der Fußballfirma, entspricht?
Ich glaube, das Ganze ist ein Vorwandthema für die Unzufriedenheit und den Frust, den man loswerden will.
Wird die heutige Fangeneration noch ein Ende dieser ewigen Stadiondebatte bei 1860 erleben?
Was mich angeht, hängt das von meiner Lebenserwartung ab, die ich mit bald 77 Jahren nicht mehr für unüberschaubar halte. Im überschaubaren Zeitraum habe ich meinen Glauben verloren.