Das ging schnell: Vor einer Woche waren wir noch am Breaken, Reiten und in der Seine Schwimmen – und jetzt ist schon wieder Fußball-Normalvollbetrieb mit Transferfensterirrsinn und Leverkusen-Bewunderung. Ein nahtloser Übergang auch deshalb, weil im gesamten Sport mittlerweile die identische Terminologie vorherrscht. Wir bemerkten diese begriffliche Schnittmenge, als am Freitagabend Thomas Wörle, der Trainer der Ulmer Kicker, nach der DFB-Pokal-Niederlage gegen die Bayern sagte: „Wir haben unser Herz auf dem Platz gelassen.“ Den Satz haben wir zwei Wochen lang in Dauerschleife auch aus Paris gehört: Beachvolleyballer haben ihr Herz im Sand unterm Eiffelturm gelassen, Bahnradfahrer auf dem Holzoval, Schwimmer im Becken, Leichtathleten im Stade de France. Sogar im Dressurrechteck wurden Herzen hinterlassen – wobei uns unklar ist, ob es das von Jessica von Bredow-Werndl oder von Ross Dalera war oder Mensch und Tier in dieser Partnerschaft ein gemeinschaftliches Herz besitzen.
„Das Herz auf dem Platz lassen“ ersetzt in der Kommunikation der Sportler das klassische „Wir haben alles rausgehauen“, die neue Formulierung klingt viel pathetischer, da bildhafter – ist bei genauer Analyse halt nur eine weitere modische Dummsprech-Phrase. Man erhöht mit ihr sich selbst und die Mission, die man verfolgt.
Für den SSV Ulm 1846 wäre es fatal, hätte er sein Herz wirklich im Donaustadion versenkt. Dass die „Spatzen“ nicht den DFB-Pokal gewinnen, müsste ihnen klar gewesen sein, und ein gesundes leistungsfähiges Herz brauchen sie noch für die anstehenden 32 Spieltage in der 2. Fußball-Bundesliga, in die sie nach Jahrzehnten des Leidens wieder aufgestiegen sind. So viele Insolvenzen haben die Ulmer schon überlebt, da sollten sie mit der Kraft ihrer Pumpe nicht so verschwenderisch umgehen.
Gut, in einigen olympischen Sportarten kann man sein Herz rücksichtslos irgendwo lassen, weil manche mit den Spielen einen Lebensabschnitt und die Karriere beenden – doch im Fußball geht es ja weiter, immer weiter, jede Woche. Wenn das mit dem „Wir haben unser Herz auf dem Platz gelassen“ um sich greift, werden die ersten Clubs bald Kardiologie-Planer, die Kaderplaner der Herzen, einstellen. Oder spezialisierte Materialwarte, die die Herzen flugs wieder einsammeln.
Die Spieler sollten mit der Ressource Herz auch sorgsam umgehen – gerade in diesen modernen Zeiten bleibt man nicht ein Leben lang bei einem Verein, und selbst wenn einem beim Blick auf den Gehaltszettel nach ewiger Treue ist, kann es sein, dass man auf einmal nicht mehr gefragt ist. Wie es gerade Leon Goretzka bei den Bayern erfährt.
Da bahnt sich eine Trennung an. Wenn sie vollzogen sein wird, muss noch das bittere Fazit des Betroffenen erfolgen. Entweder „Jahrelang habe ich für den Verein die Knochen hingehalten“ oder „Ich habe für die Bayern mein Herz auf dem Platz gelassen“. Möge Leon Goretzka eine sprachlich gute Entscheidung treffen. Guenter.Klein@ovb.net