Auch den Paralympics droht ein Politikum

von Redaktion

Valentina Petrillo startet als erste Transfrau bei den Weltspielen der Behinderten

Paris – Valentina Petrillo bereitet sich auf Paris mental ebenso gewissenhaft vor wie körperlich – sie weiß, warum. Dass der wichtigste Moment ihrer Karriere zur (sport)politischen Hetzjagd verkommen könnte, ist der ersten Transfrau bei Paralympischen Spielen spätestens seit der riesigen Olympia-Debatte völlig klar. „Ich weiß, dass ich kritisiert werde, dass die Leute nicht verstehen werden, warum ich das tue“, sagte die Leichtathletin: „Doch ich bin hier, ich habe jahrelang dafür gekämpft und habe keine Angst.“

Die an Morbus Stargardt – eine seltene Augenkrankheit – erkrankte Läuferin wird über 200 und 400 m in der Kategorie T12 an den Start gehen. Nach der neuseeländischen Gewichtheberin Laurel Hubbard, die 2021 bei Olympia in Tokio als erste Transperson für ein Novum sorgte, wird die 50-Jährige paralympische Geschichte schreiben.

Das nächste Politikum könnte also bevorstehen. Die Olympischen Spiele haben die Gender-Debatte im Sport aufgeregt wie nie angefacht, Box-Olympiasiegerin Imane Khelif beklagte „bösartige Kampagnen“ und „digitale Lynchjustiz“ gegen sich und ihre Mitstreiterin Lin Yuting. Wochenlang wurde eine entwürdigende Diskussion über ihr biologisches Geschlecht geführt, die Legitimität ihrer Teilnahme im Frauen-Wettbewerb angezweifelt. Khelifs Vater versuchte durch die Präsentation ihrer Geburtsurkunde für Ruhe zu sorgen.

Und nun? Die Geschichte droht sich an diesem Punkt zu wiederholen. Petrillos deutsche Konkurrentin Katrin Müller-Rottgardt äußerte im Gespräch mit der Bild-Zeitung vorsichtig Zweifel an der Fairness des Wettkampfes. Natürlich solle jeder Mensch so leben, wie es für ihn richtig sei, „im Leistungssport finde ich es aber schwierig. Sie hat lange als Mann gelebt und trainiert, da steht im Raum, dass da körperliche Voraussetzungen anders sind als bei jemandem, der als Frau zur Welt kam. Sie könnte somit Vorteile haben.“ Sie wünsche sich, sagte Müller-Rottgardt, „eine klare Position des internationalen Verbandes im Sinne für uns Athleten“.

Der Hintergrund: Petrillo trug bis zum Start ihrer Geschlechtsangleichung im Jahr 2019 den Namen Fabrizio und gewann zahlreiche Wettkämpfe der Para-Leichtathletik, spielte zuvor für Italiens Nationalmannschaft im Blinden-Futsal. Doch sie ist nicht sie selbst gewesen. „Ich bin wie mit angezogener Handbremse gelaufen und war nicht glücklich“, sagte Petrillo. „Mit Sicherheit nicht so glücklich, wie ich jetzt bin, auch wenn ich ein wenig älter bin.“

Anders als bei den Boxerinnen Khelif und Lin, deren Geschlecht bis zuletzt diskutiert wurde, ist zumindest die rechtliche Lage bei Petrillo ziemlich offensichtlich. Sie hat schon vor Jahren ihren Testosteronspiegel durch eine Hormontherapie so weit gesenkt, dass sie die internationalen Zulassungsbestimmungen für Para-Leichtathletik-Wettkämpfe von Frauen erfüllt. Das ist das zentrale Kritierium.

Hinzu kommt: Die internationale Konkurrenz läuft Petrillo längst nicht in Grund und Boden, sicherlich auch wegen ihres für Sportlerinnen fortgeschrittenen Alters. Als bislang größter Karriere-Erfolg steht 2023 in Paris WM-Bronze über 200 m zu Buche – und auch das nur aufgrund einer Disqualifikation von Müller-Rottgardt. Ein dominanter Lauf zu Gold, ein überlegener Triumph wie der von Boxerin Khelif wäre dann doch eine faustdicke Überraschung.

Ob rein sportlich oder nicht, Petrillo möchte den zu erwartenden Trubel um ihre Person bei den Paralympischen Spielen (28. August bis 8. September) nutzen – und zum Vorbild für Viele werden. „Die erste von vielen“ möchte sie sein, „ein Bezugspunkt für andere, eine Quelle der Inspiration. Meine Erfahrungen können für andere Menschen nützlich sein, unabhängig davon, ob sie eine Sehbehinderung haben oder nicht, ob sie trans sind oder nicht.“
SID

Artikel 1 von 11