Das war schockierend, diese Nachricht zu vernehmen: Jannik Sinner zweimal auf verbotene Substanzen getestet. Ein Südtiroler aus den wunderschönen Sextener Dolomiten, in denen man nichts Böses wähnt. Ein junger Kerl mit einem lieben Gesicht. Und aus dem Tennis – nicht die typische Sportart, bei der man gleich an Leistungsmanipulation denkt, da wirken andere Sparten anfälliger für die pharmazeutisch gestützte Steigerung von Kraft und Ausdauer. Und sie haben auch mehr Fälle.
Doch auf diese Gedanken darf man sich nicht einlassen. Das sagt ein jeder Vertreter seiner Sportart, wenn auf sie der Schatten eines Verdachts fällt: Nein, nein, Doping brächte gar nichts, die Anforderungen seien viel zu komplex, stärken könne man nur eine Komponente, und das würde sich verlieren im Gesamtpaket. Doch die Realität ist eben, dass es über die ganze Palette des leistungsorientierten Sports Manipulationen gibt – vom Valium gegen die zittrige Hand des Schützen bis zur Epo-Kur für den Marathonläufer. Umfragen, bei denen die Identität der Sportler geschützt wurde, und die daher ein realistisches Bild zeichnen, belegen: Über die Hälfte ist bereit, dem Erfolg auf die Sprünge zu helfen.
Dazu passt nicht, dass niemand, der ertappt wird, sich ein positives Ergebnis erklären kann. Oder dass er aberwitzig anmutende Erklärungen präsentiert. Die von Tennisstar Jannik Sinner: Sein Physiotherapeut habe sich in den Finger geschnitten, auf die Wunde Spray aufgetragen, dieses enthielt unglücklicherweise ein anaboles Steroid, welches beim Massieren durch die Haut in den Körper eingedrungen sei. Ausschließen kann man diese Kontamination wohl nicht – im Fall von Sinner aber wurde es doch sehr schnell und an den Sportgerichtsbarkeiten vorbei (“Unabhängiges Gericht“) ausgeschlossen.
Jannik Sinner soll hier nicht verurteilt werden – wir kennen die Wahrheit auch schlicht nicht. Doch es muss einen Wahrheitsfindungsprozess geben. Und dass dieser eingehalten wird, davon hängt die Glaubwürdigkeit des Spitzensports ab. Rund um Olympia gab es die Fälle der über zwanzig chinesischen Schwimmer(inne) mit dem Herzmittel im Essen, weil dem Hotelkoch sein Medikament in den Kessel getropft sein soll. Dass die Affäre lautlos und sehr schnell abgeräumt werden sollte, hat Verdachtsmomente nicht entkräftet, sondern bestärkt.
Es gilt, dass der Sportler für das verantwortlich ist, was in seinen Körper gelangt. Ist er der Meinung, er sei Opfer einer Manipulation oder einer Verkettung unglücklicher Umstände, kann er sich vor den Anti-Doping-Agenturen und dem Sportgerichtshof erklären. Mag sein, dass das ein zehrender Weg ist, auf dem einem Betroffenen auch mal eine ungerechte Einschätzung widerfährt – doch dieses Opfer wäre er der Integrität seines Sports schuldig. Guenter.Klein@ovb.net