„Jede Medaille verdient gleiche Beachtung“

von Redaktion

Michael Teuber über Jahrzehnte im paralympischen Sport – Comeback nach schwerem Unfall

Die Pariser Wettkampfstätten sind bereit: Badminton-Spielerin beim Training. © IMAGO

Riesenfreude über Bronze: Michael Teuber vor drei Jahren in Tokio. Da war er auch Fahnenträger der deutschen Mannschaft. © dpa/Marcus Brandt

In seinem Element: Michael Teuber auf der Zeitfahrmaschine. Am 4. September steigt in Paris sein Hauptrennen. In der Vorbereitung absolvierte er drei Höhentrainingslager. © Imago

München/Paris – Ab morgen gibt es in Paris wieder Weltsport. Zweieinhalb Wochen nach dem Ende der Olympischen beginnen die Paralympischen Spiele. Der deutsche Dauerbrenner bei den Spielen der Menschen mit Behinderung ist der inkomplett querschnittsgelähmte Radsportler Michael Teuber (56), der am 4. September auf eine Medaille im Einzelzeitfahren hofft und zusätzlich am 7. September ins Straßenradrennen geht. Ein Gespräch mit dem Paralympics-Routinier vor seinen siebten Spielen.

Michael Teuber, die Welt war begeistert von Olympia in Paris. Gehen Sie mit Begeisterung in der Paralympischen Spiele?

Begeisterung ist bei mir nicht der richtige Begriff. Eher Fieber. Es ist nicht ein Weltcup oder eine Weltmeisterschaft, sondern es sind die Olympischen, die Paralympischen Spiele, die nur alle vier Jahre stattfinden. Die Fokussierung ist bei mir extrem groß, die Vorbereitung war aufwendig und umfangreich – darum sind Anspannung und Vorfreude noch einmal größer, auch beim alten Hasen Michael Teuber.

Paris punktete mit seinen Sightseeing-Schönheiten. Werden Sie bei Ihrem Wettkampf in deren Genuss kommen?

Was wohl schon toll werden wird, wird die Eröffnungsfeier sein. Da ich nicht an den Bahnradwettkämpfen teilnehme, kann ich sie wieder mitmachen. Wie das letzte Mal auch, da war ich Fahnenträger. Nun bin ich etwas freier, weil mein Hauptwettkampf erst am 4. September stattfindet. Die Eröffnung kann ich genießen. Der Einmarsch der Nationen geht von den Champs d’Elysees auf den Place de la Concorde, es gibt eine dreistündige Show, darauf freue ich mich, das ist etwas Besonderes, und vielleicht sind es meine letzten Paralympischen Spiele. Mein Wettkampf wird allerdings nicht in der Innenstad seint, sondern in Clichy-sur-Boys, einem Stadtteil von Paris. Aber ehrlich: Für mich ist das ganze Beiwerk unwichtig. Ich fokussiere mich auf meinen Wettkampf, werde fast jeden Tag auf der Strecke trainieren, habe mir deswegen, obwohl ich am Mittwoch ins Olympische Dorf einziehe, auch eine Wohnung hundert Meter vom Start/Ziel entfernt angemietet..

Seit 24 Jahren erleben Sie die Paralympics, die immer nach Olympia in den jeweiligen Städten stattfinden. Welche Entwicklung stellen Sie fest?

Zweifellos gibt es große Fortschritte. Wir sind nach Olympischen Spielen und Fußball-Weltmeisterschaft das drittgrößte Sportevent. Selbst meine ersten Paralympics 2000 in Sydney waren beeindruckend, weil die Stadien voll waren und die Kooperation mit den Olympischen Spielen bestand. Aber die Berichterstattung aus Sydney: wenig. 2004 aus Athen: immer noch wenig. Dann hat Bundespräsident Horst Köhler eingegriffen, von Athen auf Peking 2008 hatten wir eine Verzehnfachung und von Peking auf London 2012 eine weitere Verdoppelung. Der Status, der mit London gesetzt wurde, gilt jetzt. Rio 2016 war sympathisch. Tokio 2021: sensationelle Stadt, aber die Corona-Thematik war ein Faktor, der gestört hat. Jetzt Paris, Frankreich, die Spiele zurück in Europa – ich erwarte mir tolle Spiele und einen positiven Effekt für die Paralympische Bewegung.

Sie waren als Pararadsportler auf der ganzen Welt. Menschen mit Handicap erfahren nicht überall die gleiche Anerkennung, oder?

Ich habe das Gefühl, dass in einfacheren Ländern eine Behinderung als Kollateralschaden aufgenommen wird; die Leute sind aber normal in die Gesellschaft integriert und machen ihr Ding.

Nach Peking blickte man 2008 mit Sorge, ob die dortige Gesellschaft offen sein würde für Paralympische Spiele.

In China war es so, dass man die behinderten Menschen verstecken wollte, aber gerade durch die Paralympics hat China Gas gegeben und dominiert nun noch stärker als bei den Olympischen Spielen, um zu zeigen: Wir bringen Menschen mit Behinderung groß raus, sie machen China Ehre. Vermutlich ist das Staatsdoktrin. Ob es im Land China zu besserer Inklusion geführt hat, kann ich nicht beurteilen.

Wie wird paralympischer Sport in Deutschland angenommen?

Wir sitzen im gleichen Boot wie zahlreiche olympischen Sportarten, die auch nur alle vier Jahre öffentlich stattfinden. Bei uns ist es so ähnlich. In der breiten Öffentlichkeit wird der Parasport über die Paralympics wahrgenommen, von einer Weltmeisterschaft ist wenig zu sehen. Aber insgesamt können wir zufrieden sein, es passt. Man kann immer sagen, das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen könnte noch mehr zeigen, um ums noch bessere Chancen im Sponsoring zu öffnen. Aber wie gesagt: Der Knoten ist zwischen Athen und Peking geplatzt, weil Horst Köhler Impulse gesetzt hat. Wir haben ein normales mediales Umfeld.

Und Prämiengleichstellung. Ein Olympia- wie ein Paralympics-Sieg bringen 20000 Euro Prämie. Okay?

Prämien sollten schon noch mal neu verhandelt werden. 20000 Euro, das ist ein Geld, aber nicht so substanziell, dass du als Sportler was zurücklegen könntest. Da wäre ich für eine Aufstockung, aber man darf das nicht zu plakativ und populistisch diskutieren. Eine Prämie ist nicht in erster Linie eine staatliche Aufgabe. Die Bundesrepublik Deutschland sorgt dafür, dass es mit Bundeswehr und Sportverbänden ein relativ gutes Dportsystem gibt, das in den Top Ten der Welt ist. Aber von der Sporthilfe zu verlangen, dass wir eine Million für eine Goldmedaille wollen, das ist nicht realistisch. Man muss ausloten: Was gibt es noch für Möglichkeiten, können Verbände, Weltverbände, der DOSB was auszahlen? In die Liga 50000 bis 100000 sollte es gehen, vielleicht engagieren sich neue Sponsoren, Rossmann (die Drogeriemarktkette, d. Red.) hat sich ja angeboten. Wenn ich mir aber vom Staat was wünschen dürfte…

Ja?

… dass es eine höhere Auszeichnung für Sportler gibt. Das Silberne Lorbeerblatt kriegst du bei der ersten Bronze- und der fünften Goldmedaille. Es gibt keine Abstufung und keine Honorierung der außergewöhnlichen Höchstleistung. Es ist eine gleichmäßige Honorierung, ein wenig wie mit der Gießkanne.

Wie viele Silberne Lorbeerblätter haben Sie?

Fünf. Da steht dann immer drauf: ..freuen uns, Michael Teuber, dem Träger des Silbernen Lorbeerblatts, erneut das Silberne Lorbeerblatt zu überreichen“. Vielleicht führt man mal ein Goldenes ein.

Nochmals zum Vergleich Olympia/Paralympics. Herrscht unter Paralympiern im Dorf auch diese multikulturelle Geselligkeit, die für viele Athletinnen und Sportler den wahren Reiz der Teilnahme ausmacht?

Das ist das visuelle Erlebnis sozusagen, dass es die Wohnblocks mit den Menschen aus den verschiedenen Kontinenten gibt, vom hochprofessionellen britischen Radsportler bis zum senegalesischen Läufer. 10000 bei Olympia, 5000 bei den Paralympics, das ist schon ein Ausnahmezustand. Und wie bei keinem anderen Event geht man für sein Land an den Start. Das ist anders und erhebender, du spürst, dass du Teil von etwas Größerem bist. Es setzen sich im Dorf aber schon meistens die Mannschaften zusammen.

Bei Olympia hörte man, dass es für manche ein Erlebnis war, NBA-Stars oder Turnerin Simone Biles zu begegnen. Hat auch der paralympische Sport seine Weltstars? Der Prothesenläufer Oscar Pistorius war mal einer – bis er seine Verlobte erschoss und tief stürzte.

Es gibt ein paar, die man als „Athlete to watch“ in den internationalen Fokus zu stellen versucht, aber für mich sind alle gleich. Der Hype um Pistorius wurde entfacht, weil er (über 400 Meter. d. Red.) gegen Nichtbehinderte antrat. Ich sage: Leute, es gibt genug Menschen mit Behinderung, die nicht kompetitiv gegen Nichtbehinderte antreten, aber das muss in der paralympischen Welt den gleichen Wert haben. Die Bocciamedaille eines schwer Behinderten muss genauso anerkannt werden, wie wenn Markus Rehm 8,90 Meter weit springt. Es ist fantastisch, wenn ein paralympischer Springer weiter springt als Nichtbehinderte, aber von institutioneller Seite verdienen andere Leistungen die gleiche Beachtung.

Wie sind Ihre Ambitionen und Chancen?

Im Schatten meines Unfalls vom 5. März…

… auf Lanzarote wurden Sie von einem Auto umgefahren, erlitten Brüche an Wirbeln, Schlüsselbein und Rippen, mussten nach München geflogen und operiert werden…

… war es die schwerste Saison meiner Karriere. Ich hatte den kompletten Formeinbruch, musste alles neu aufbauen, habe die zweite Saisonhälfte aber gut genutzt, war länger denn je in der Höhe, 43 Tage, vor Tokio waren es noch 38, ich habe drei Höhentrainingslager gemacht statt zwei, habe sehr fokussiert auf der Zeitfahrmaschine trainiert, alles getan, um in Bestform zu kommen und fühle mich auch in sehr guter Verfassung. Alle Ampeln stehen auf Grün, und meine Family wird vor Ort sein: Frau, Tochter, Vater, Bruder. Ich will definitiv um die Medaillen im Einzelzeitfahren kämpfen, da ist alles offen. Die Lage hat sich sogar verbessert.

Weil?

Am 5. August wurde ein Dopingfall aus den USA bekannt., Ein unmittelbarer Konkurrent, Aron Keech, der in Tokio vor mir Silber gewann, wurde auf Anabolika getestet. Im Februar. Er sollte trotzdem starten dürfen. Ein eins zu eins paralleler Fall zum italienischen Tennisspieler Jannik Sinner und den 23 chinesischen Schwimmern. Jetzt aber wurde die Nominierung von Keech zurückgezogen. Einer weniger. Gut so. Ich respektiere Leistungen, die unter Doping erbracht werden, nicht..


INTERVIEW: GÜNTER KLEIN

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